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BUDDHISMUS HEUTE
Aus: Buddhismus Heute Nr. 52, (Winter 2012 / 2013)

"A Golden Swan in Turbulent Waters"

Das neue Buch von Shamar Rinpoche

Der 10. Karmapa Chöying Dorje (1604 bis 1674) war ein großartiger Bodhisattva und Künstler, der in Tibet in einer Zeit dramatischer Veränderungen lebte: der Invasion der Mongolen, des Aufstiegs der Gelugpa-Schule und des Erscheinens des mächtigen 5. Dalai Lama. Von Seiten moderner Gelehrter hat sein Leben jedoch bisher kaum Beachtung erfahren. In seinem Buch "A Golden Swan in Turbulent Waters" ("Ein Goldener Schwan in stürmischen Gewässern") stellt Shamar Rinpoche den Lesern den 10. Karmapa vor, indem er sowohl aus dessen autobiographischen Schriften, als auch denen seiner Biographen aus dem 18. Jahrhundert übersetzt. Ein Überblick über die Geschichte Tibets vom 13. bis 17. Jahrhundert leitet die Biographie ein.
Der Autor ist die 14. Wiedergeburt des Shamarpa und damit Nachfolger der direkten Übertragungslinie seit dem 6. Shamar Rinpoche, welcher in diesem Buch als Guru des 10. Karmapa eine herausragende Rolle einnimmt. Das einzigartige Wissen und die Erfahrung Shamarpas bereichern seine ausführlichen Anmerkungen.

"A Golden Swan in Turbulent Waters" umfasst 288 Seiten und enthält Karten, ein Glossar, ausführliche Fußnoten, Übersetzungen tibetischer und chinesischer Begriffe und eine Bibliographie. Zwanzig farbige Illustrationen stellen das künstlerische Werk des 10. Karmapa vor und die Plätze, an denen er lebte. Einige der Kunstwerke werden zum ersten Mal veröffentlicht.

Buchauszug


Kapitel 33 "Die Auffindung des 7. Shamar Rinpoche"

Tibet in der Mitte des 17. Jahrhunderts: Der 5. Dalai Lama hatte mongolische Truppen ins Land geholt, um ihn dabei zu unterstützen, die Tsang-Regierung zu stürzen, von der sich die Gelugpas verfolgt fühlten. Die Herrscher von Tsang waren Schüler der Karmapas und Shamarpas.
Am Ende des Krieges, im Jahre 1642, setzten die siegreichen Mongolen den Dalai Lama als Herrscher Tibets ein. Weltliche und spirituelle Herrschaft in Tibet lagen nun in einer Hand, und die Gelugpa-Schule war zu einer Art Staatskirche aufgestiegen. Andere Schulen wie die Karma-Kagyü wurden daraufhin unterdrückt und der 10. Karmapa sogar von den Mongolen angegriffen, um ihn zu töten. Mit wenigen Schülern an seiner Seite konnte er entkommen und wanderte drei Jahre lang (1644 bis 1647) inkognito auf der Flucht durch Süd-Tibet, bis er in Lijiang (in der heutigen chinesischen Provinz Yunnan) Zuflucht fand.
Die im folgenden Buchauszug beschriebenen Ereignisse fanden während seines fast 30-jährigen Exils in Lijiang statt. Der 6. Shamar Rinpoche war der Lehrer des 10. Karmapa gewesen und 1630 gestorben. 1649 machte sich Karmapa auf, die Wiedergeburt seines Lehrers zu finden. Mittels seiner besonderen Fähigkeiten als Erleuchteter hatte er den Ort gesehen, an dem Shamar Rinpoches Wiedergeburt lebte.
Die Quelle für die im Folgenden beschriebenen Ereignisse ist der Text "Die Kette aus Mondwasserkristall" von Be Lotsawa Tsewang Künkyab und dem 8. Situ Rinpoche Tschökyi Jungne über die ersten zwölf Karmapas und andere Linienhalter.
(Detlev Göbel, Redaktion)


"Die Auffindung des 7. Shamarpa"
Eines Tages1 (wahrscheinlich im Jahr 1649) sagte Karmapa [seinem Freund und Diener] Küntu Zangpo, dass er sich aufmachen würde, um die Wiedergeburt des Bodhisattva Chökyi Wangchuk [dem 6. Shamarpa] (nach Lijiang) einzuladen. Kraft seiner Weisheit wusste er, dass sich die Wiedergeburt in Golok (in Osttibet) aufhielt. Karmapa wollte selbst dorthin reisen. Er bat Küntu Zangpo zurückzubleiben und mit seiner Meditationspraxis fortzufahren.
Obwohl Küntu Zangpo ihn sehr gerne begleitet hätte, gab er schließlich nach und hörte auf Karmapa.

Auf die Reise nahm Karmapa ein Pferd, einen Spazierstock und ein paar Grundnahrungsmittel mit, die er auf das Pferd band. Mit den mageren Vorräten eines Bettlers zog er los nach Golok. Auf dem Weg musste er von Tigern bewohnte Dschungel passieren, es liefen ihm aber keine über den Weg. Karmapa überquerte einen sehr felsigen Berg und kam auf der anderen Seite auf Ackerland, das sehr karg und flach war. Er rastete und aß etwas an einem Flussufer. Weil es dort spukte, hatte sein Pferd Angst, den Fluss zu überqueren, aber Karmapa überquerte ihn trotzdem. Später fand er eine Höhle, in der er bleiben und sich ausruhen konnte.

Von einem Hirten kaufte sich Karmapa Yoghurt und Milch. Der Hirte stellte Karmapa dem Oberhaupt einer kleinen Gruppe örtlicher Familien, Tharlam, vor. Tharlam behandelte Karmapa sehr gut, konnte ihn aber nicht dazu bewegen dazubleiben. Karmapa drängte weiter in Richtung seines Zieles und kam in eine Gegend mit vielen Reisfeldern, ganz im Gegensatz zu Zentraltibet, wo es gar keine gab. Eines Tages rutschte sein Pferd in einem Reisfeld aus. Karmapa sah dies als ein schlechtes Omen. Er beschloss, Rast zu machen und verbrachte an dieser Stelle den Rest des Tages und die Nacht.

Zur gleichen Zeit träumte Küntu Zangpo, dass ihm ein Zahn ausfiele und sein Kopf von einem Blitz getroffen würde. Am Morgen war er besorgt und stellte zwei Männer an, um Karmapa nachzureisen und ihn einzuholen. Unterwegs hatten sie jedoch so viele Schwierigkeiten, dass sie wieder umkehren mussten. In der Zwischenzeit war Karmapa weiter gereist. Er begegnete Räubern mit ihrem gestohlenen Vieh und sie beraubten auch Karmapa - sein Pferd, seine Kleidung und alles, was auf das Pferd gebunden war. Karmapa blieb ohne jegliche Habe zurück, aber er drängte weiter.

Bald darauf zerfielen seine Schuhe. Es war Winter und es schneite; die Haut an seinen Füssen riss auf und er musste einen Platz suchen, um Rast zu machen. Karmapa traf auf eine Familie, die ihn aufnahm. Sie gaben ihm Essen und Unterkunft und behandelten ihn sehr gut. Er blieb bei der Familie, bis die Wunden an seinen Füssen geheilt waren. Dann machte sich Karmapa wieder auf den Weg. Er hatte keine Tasse und jemand gab ihm eine zerbrochene Holztasse, die mit etwas Schnur zusammengehalten wurde. Jemand anders gab ihm einen Schal, um seine Schultern zu bedecken.

Karmapa füllte die Holzschale mit Erde und mischte etwas Butter hinzu. Diese teigähnliche Masse klopfte er flach auf den Boden der Schale und zeichnete dann in diese Fläche ein Bild, das eine Szene aus einem der früheren Leben des Buddhas (aus den Jataka-Geschichten) darstellte. Es stellte die Begebenheit dar, in der Buddha als Prinz seinen Körper einer hungrigen Tigermutter schenkte2.

Karmapa kam zu einer Retreat-Stelle, dem Haustempel eines Sakya-Lamas.3 Der Lama war überglücklich, denn er hatte Karmapa erkannt und er bat ihn zu bleiben. Karmapa blieb für einige Zeit in dem Tempel, rezitierte Sutras und schrieb Gedichte über die zwölf Taten des Buddhas. Später kam er in der Nähe eines Dorfes bei der "Weißen Stupa Chinas" vorbei. Ein Tee-Verkäufer aus dem Dorf bot ihm eine Packung Tee-Blätter an. "Das ist sehr hilfreich", sagte ihm Karmapa. Zurück im Dorf erzählte der Tee-Verkäufer den Dorfbewohnern, dass er einen Bettler getroffen habe, der wohl außergewöhnlich war. Als Karmapa in eine Gegend namens Bo kam, fühlten die Leute, dass er besonders war. Sie respektierten ihn, obwohl er wie ein Bettler wirkte.

Karmapa reiste in verschiedenen Gegenden wie Rabgang und Dartsedo. Er schickte eine ausführliche Nachricht an Küntu Zangpo und erzählte ihm, wo er war und was er tat. Alle Geschenke, die Karmapa bekam, verschenkte er weiter. Er reiste weiterhin als Bettler und kam in eine Gegend, in der sich viele Nomaden versammelt hatten. Sie schenkten Karmapa 100 Pferde, Essen und viele Dinge. Von Rabgang reiste Karmapa nach Washul. Dort machte er Rast und lehrte die örtliche Bevölkerung das Dharma. Er segnete sie und zog nach einigen Tagen weiter nach Domed Thagku.

Kommentar von Be Lotsawa:
Als Karmapa durch Domed Thagku kam, hörte er von einem Mann namens Juzhag, der entsprechend der Bön-Tradition Mos (Weissagungen, Orakel) machen konnte. Juzhag erzählte seinen Freunden, dass all seine Mos zu der Zeit die glüückverheissende Geburt von Buddha Shakyamuni offenbarten. Er selbst dachte sich, dass von irgendwo her Karmapa kommen würde. Am selben Nachmittag kam Karmapa in dem Dorf an, so dass jeder sehr überrascht war. Mein Guru (der 8. Situpa) sagte mir, dass man sich in dieser Gegend bis heute diese Geschichte erzählt.

In der Zwischenzeit wusste die Wiedergeburt des 6. Shamarpa - mittlerweile ein Junge - durch seine Weisheit, dass Karmapa kommen würde, um ihn zu finden. Er schickte einen Verwandten, um Karmapa abzuholen und ihn dann seinem Geburtsplatz in einer Gegend namens Machu zu treffen.

Karmapa überschritt den großen Fluss Ngo Cho und kam in Jobri an. Er baute dort einen kleinen Tempel und eine große Gebetsmühle. Dann ging er weiter nach Zirka Lhamo Darthang. Dies war der Platz, an dem ein berühmter Dharma-Thron eigens für öffentliche Belehrungen gebaut worden war. Er bestand aus Ziegeln und Steinen.
Sowohl Gyalwa Könchog Ban (der 5. Shamarpa), als auch Je Chokyi Wangchuk (der 6. Shamarpa) hatten auf diesem Thron gelehrt.

Als Karmapa Mar Yul in Golok erreichte, erwartete ihn der bereits zuvor angekommene junge Shamar Tulku.4 Das Kind verbeugte sich vor Karmapa und schenkte ihm eine Perlen-Mala. Dann lud er Karmapa in sein Elternhaus ein, welches auf einem Feld stand, durch das sich ein Fluss in Form des tibetischen Buchstabens "A" schlängelte [Der tibetische Buchstabe "A" repräsentiert die Leerheit]. Das Haus befand genau in der Mitte des Buchstabens. Karmapa erwiderte die Geschenke der Jungen und seiner Familie.


Einfügungen in runden Klammern und Fußnoten von Shamar Rinpoche

Einfügungen in eckigen Klammern und Übersetzung aus dem Englischen durch die Redaktion

Übersetzung des Buchauszugs mit freundlicher Genehmigung von Bird of Paradise Press

Fotos von Marcin J. Muchalski

"A Golden Swan in Turbulent Waters -
The Life and Times of the Tenth Karmapa Choying Dorje"
Bird of Paradise Press, Lexington/Virginia
ISBN: 978-0988176201
288 Seiten
Ca. Euro 32,-


1 Text von Be Lotsawa, Seite 181b
2 Ein extremes Beispiel für Bodhisattva-Verhalten, das der 10. Karmapa als Inspiration nutzt, um sein eigenes Bodhisattva-Handeln zu vervollkommnen.
3 Text von Be Lotsawa, Seite 182a
4 Text von Be Lotsawa, Seite 182b

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