Der Tod ist für die meisten Menschen kein Thema an das man gerne denkt. Warum hast du dieses Buch geschrieben?
Lama Ole Nydahl: In der heutigen Welt hat der tibetische Buddhismus viel und einzigartiges Wissen auf diesem Gebiet. Er trägt erstaunliche Einsichten zu den Prozessen beim Sterben bei und erklärt, was danach geschieht sowohl während der Zeit, wenn der Geist gespeicherte Eindrücke verdaut, als auch wenn er sich in eine menschliche oder andere Form aus anderen Bereichen inkarniert. Auch das Christentum zählt sieben Wochen zwischen Ostern und der Fastenzeit, aber der Diamantweg-Buddhismus erklärt zusätzlich die psychologischen Prozesse, die hier stattfinden und wie man Wesen zur bestmöglichen Wiedergeburt bringen kann.
Das ist ziemlich fortgeschrittenes Wissen. Ist das Buch vor allem für die allgemeine Öffentlichkeit, für Buddhisten oder nur für deine Schüler geschrieben worden?
Lama Ole Nydahl: Jeder wird irgendwann sterben, also sollten alle es nutzen können. Einige Leute werden es vor allem lesen, um Informationen dazu zu bekommen, wie sie der Familie oder den Freunden in letztendlichen Situationen helfen können. Andere wiederum werden in eines unserer Diamantweg-Zentren gehen und tiefere und praktischere Informationen über unsere Kurse zum "Bewussten Sterben" (tib. Phowa) bekommen. Sie werden jedes Jahr weltweit ein Dutzend Mal in religiös freien Ländern angeboten und fast alle hatten gute Ergebnisse. Jedes Wissen, jede Erfahrung und jedes Verständnis in diesem Bereich ist ausgesprochen wichtig, denn zurzeit ist der Tod ein schwarzes Loch in unserer gemeinsamen Bewusstheit. Es ist etwas, bei dem die Menschen entweder glauben, beeinflussbar sind oder nicht daran denken wollen.
Caty Hartung: Die erste Hälfte des Buches wurde in der Weise geschrieben, dass es jedem helfen kann. Man muss kein Buddhist sein, um davon Nutzen zu haben.
Kannst du etwas zur Struktur des Buches sagen? Verfolgt sie eine gewisse Idee?
Caty Hartung: Das ganze Buch hat neun Kapitel. Wir fangen damit an, den heutigen wissenschaftlichen Kontext zu Tod und Sterben zu erklären. Das zweite Kapitel geht allgemein auf Buddhismus ein, mit Belehrungen zu Zuflucht usw. Im dritten Kapitel beschreiben wir, was man sehen kann, wenn jemand stirbt und wie man die äußeren Bedingungen um den Sterbenden herum verbessern kann, auch welche Situationen die Leute vorfinden, was ihnen helfen kann. Im vierten Kapitel fangen wir an, wirklich in den Todesprozess zu gehen. Wir beschreiben es von innen her, was mit einem geschieht. Im fünften Kapitel geht es darum, wie man einem Sterbenden helfen kann und wie man diesbezüglich die sechs Paramitas verwenden kann - die Sechs Befreienden Handlungen. Dann folgt das für mich wichtigste Kapitel dazu, wie man die Prozesse des Sterbens und des Todes nutzen kann, um sich zu entwickeln. Dies war der Hauptgrund dafür das Buch zu schreiben und für die Weise, wie wir es strukturiert haben.
Dieser Augenblick ist nicht der schlimmste Moment des Lebens. Es ist eine Chance, eine großartige Gelegenheit, auf die man sich vorbereiten und der man entgegensehen sollte. Als Buddhist ist es die Möglichkeit, Erleuchtung zu erlangen. Es ist der Höhepunkt des Buches, der die Sichtweise des Lesers völlig umdreht und ihm neue Perspektiven zeigt.
Kannst Du mehr über dieses Kapitel erzählen?
Caty Hartung: Es ist dieser Wendepunkt, der Oles Buch so besonders macht. Dieser Optimismus wird selten so klar ausgedrückt. Das gesamte Buch hat dieses Leitmotiv, dass der Moment des Todes tatsächlich eine große Chance ist für jeden, der fähig ist, seinen Geist zu kontrollieren. Eine große Motivation, um das eigene Leben mit Meditation zu bereichern.
Lama Ole Nydahl: Wir dachten an einen Untertitel "Den Tod als Weg nutzen". Dieser Optimismus wird so stark ausgedrückt, weil ich durch eine Nahtod-Erfahrung selbst erfuhr, dass die Belehrungen unserer hohen Lamas völlig stimmen. Ihre Beschreibung eines Reinen Landes ist zusätzlich durch meine eigene Erfahrung gesichert.
Caty Hartung: Lama Ole ist DER Experte zum Sterben. Er lehrt jedes Jahr Tausenden von Menschen Phowa. Und im Tod wendet man diese Methode an.
Nach dem sechsten Kapitel gehen wir auf die Bardo-Belehrungen ein. Bardo ist ein Begriff für die Zeit des Überganges, er wird für die Zeit zwischen physischem Tod und Wiedergeburt verwendet. Es beschreibt, dass der Todesprozess tatsächlich noch nicht beendet ist, sondern weitergeht. Wenn man seine erste Chance beim Sterben noch nicht genutzt hat, gibt es weitere Möglichkeiten. Wir haben eine Zeitschiene erstellt, mit den geeigneten Zeitpunkten für die Anwendung der Phowa-Praxis. Im achten Kapitel gehen wir noch mehr ins Detail und beschreiben die verschiedenen Arten des Phowa, die Möglichkeiten, die sie uns geben und was einen auf einem Phowa-Kurs erwartet. Im neunten Kapitel sprechen wir über die Lehrer, die Lama Ole traf und wie sie starben. Das Buch endet mit dem Tod des 16. Karmapa.
Wie sollte man das Buch lesen, wenn man noch nichts über Buddhismus weiß und nur das Buch in die Hände bekommt?
Lama Ole Nydahl: Ich würde sagen, Kapitel für Kapitel und sich dafür Zeit nehmen. Oder sich kurz beim ersten Mal einen Überblick verschaffen und sich dann später tiefer in das erwünschte Material einarbeiten. Es ist ein praktisches Buch, um das Sterben zu lernen. Es wird tief im Geist heranwachsen.
Caty Hartung: Wenn jemand weiß, dass er bald sterben wird, kann er auch nur das vierte Kapitel lesen. Wenn man weiß, dass zum Beispiel die eigene Mutter bald stirbt, liest man noch einmal Kapitel fünf. In solchen Momenten muss man nicht alle 200 Seiten lesen.
Man bekommt eine Abkürzung zu dem nötigen Wissen. So haben wir das Buch extra aufgebaut.
In den letzten Jahren haben bereits einige tibetische Lamas Bücher über dieses Thema veröffentlicht. Auch eine Übersetzung des "Tibetischen Totenbuches" ist erhältlich. Was ist dein besonderer Beitrag zum Thema? Inwiefern unterscheidet sich dein Buch von den anderen?
Lama Ole Nydahl: Zuerst einmal muss man wissen, dass das allgemein bekannte "Tibetische Totenbuch" nur für Leute ist, die eine bestimmte Ermächtigung namens Shitro erhalten haben. Es ist eine Ermächtigung auf die 42 friedvollen Buddha-Aspekte aus dem eigenen Herzzentrum und die 58 kritischen aus dem Hirn, die erscheinen, wenn man stirbt. Wenn man jedoch diese seltene Ermächtigung nicht bekommen hat, wird man die vielen hier beschriebenen Formen nicht erfahren. Stattdessen wird es Windstöße, laute Geräusche oder starke Lichter geben, wenn sich die eigenen Grenzen von Gefühlen und Vorstellungen auflösen. Die Menschen sollten wissen, dass sie nicht allgemein erwarten können, diesen Formen zu begegnen und stattdessen ihre unterbewussten Eindrücke in Form von Bildern aus dem letzten Leben erfahren werden.
Caty Hartung: Ich denke, der große Unterschied ist, dass man den Inhalt verstehen wird. Ich habe die meisten Bücher auf dem Markt gelesen und sie enthalten so viele Details, dass sie schwer zu verstehen sind. Wir haben das Thema für den normalen Westler und Buddhisten zugänglich gemacht. Lama Ole schafft es, moderne Geister dazu zu inspirieren, Leben und Tod für Praxis und Entwicklung zu verwenden.
Ihr habt, soweit wir wissen, auch viel wissenschaftliches Material verwendet?
Lama Ole Nydahl: Ja, unter mehreren Ärzten, die den Mut haben, jenseits der allgemeinen materialistischen Sicht, dass das Gehirn den Geist "herstellt", zu gehen, hat der Palliativ-Arzt Pim Van Lommel das Buch "Consciousness Beyond Life, the Science of the Near-Death Experience" geschrieben. Er und seine Ergebnisse, dass es Bewusstheit ohne einen Körper geben kann, sind sehr wichtig. Man findet ihn im Internet.
Die übliche Wissenschaft nahm es lange als gegeben hin, dass das Gehirn den Geist schafft, aber er beweist, dass es Geist ohne ein funktionierendes Gehirn geben kann. Er beschreibt viele Fälle, in denen Menschen klinisch tot waren, ohne jegliche Hirnfunktion. Wenn sie dann wiederbelebt wurden, beschrieben sie, was im Zimmer geschah, während sie tot waren, und sie hatten es für gewöhnlich von der Zimmerdecke aus "gesehen". Deswegen legt man oft große Bilder oben auf die Regale, um zu sehen, ob die Leute sich daran erinnern. Wichtig ist dabei, ob sie direkt wissen, was dort ist oder nur, wenn jemand im Raum es weiß.
Haben auch Nicht-Buddhisten, die nicht der Idee eines Lebens nach dem Tod folgen, einen Nutzen von dem Buch? Gibt es zum Beispiel Ratschläge dazu, wie man mit dem Todesprozess umgeht, auch wenn man nicht Buddhismus praktizieren möchte?
Lama Ole Nydahl: Ja, natürlich erlebt jeder den gleichen Verlauf. Es wäre jedoch so, als bewundere man das Menü, möchte aber nicht essen.
Caty Hartung: Ich denke, es hilft einem beim Sterben, wenn man den Todesprozess kennt. Dieses Wissen haben wir nicht in der westlichen Kultur. Niemand beschreibt hier, wie sich die Organe auflösen und was man währenddessen erfährt. Selbst wenn man nicht an Wiedergeburt glaubt, wird es einem helfen, beim Sterben entspannter zu sein.
Was ist die Grundaussage des Buches? Was sollten die Leser nach dem Lesen hoffentlich in Erinnerung behalten?
Lama Ole Nydahl: Dass Menschen, die allgemein gut gelebt haben, wenig Angst haben müssen. Sie können dann offen über das Sterben nachdenken und es zu einem Teil ihres Lebens machen. Die Kulturen, in denen der Tod als ein natürlicher Fluss oder eine Fortsetzung des Lebens gesehen wird, sind auf diesem Gebiet weniger neurotisch als unsere. Sie haben nicht dieses große Fragezeichen am Ende des Lebens. Man hat hier ein ganzheitliches Gefühl wie zu den Jahreszeiten in der Natur - wir werden geboren, leben, sterben und werden wieder geboren. Ich denke, dass das sehr ausgleichend wirkt.
Würdest du sagen, dass schon allein die Information über diese Prozesse den Geist beruhigt und die Todesangst mindert?
Lama Ole Nydahl: Ja, bestimmt! Eine sich anbahnende Frage, was am Lebensende geschieht, ist wie eine Last, die man ständig mit sich trägt.
Caty Hartung: Es macht auch plötzlich mehr Sinn, die Lehren von Ursache und Wirkung zu verwenden.
Lama Ole Nydahl: Und man wird sehr dankbar.
Dieses Buch war ein 20-Jahres-Projekt. Du hast schon seit den 90er Jahren daran gearbeitet. Warum hat es so lange Zeit gebraucht?
Lama Ole Nydahl: Oh, das übliche - wir schrieben zehn andere Bücher währenddessen und starteten in der Zwischenzeit 600 Diamantweg-Zentren, mit zwei Reisen rund um die Welt jedes Jahr (Ole lacht). Damals hatten wir auch noch keinen Verleger und plötzlich bekamen wir einen der wusste, wie wichtig das Gebiet ist.
Caty Hartung: Wir mussten auch noch viele Erfahrungen machen.
Lama Ole Nydahl: Viel menschliches Wachstum und die letzten wissenschaftlichen Erkenntnisse hätten ansonsten gefehlt.
Caty Hartung: Die Belehrungen mussten mehr abgeklärt werden, weil es so eine komplizierte Angelegenheit ist. Wenn man das ganze Buch liest, sieht man verschiedene Möglichkeiten, wie man die Lehren interpretieren kann. Wir brauchten unseren eigenen Prozess und unsere Erfahrungen, um es klar zu darlegen zu können. Obwohl Lama Ole der westliche Experte ist, musste er Informationen in einer Weise sammeln, übersetzen und teilen, die die tibetischen Quellen offensichtlich macht und zugleich für westliche Geister verständlich ist. Das war der Prozess.
Es kamen viele Bedingungen zusammen um das Buch abschließen zu können. Oles Unfall, Hannahs früher Tod, Gespräche mit Sherab Gyaltsen Rinpoche und Professor Sempa Dorje....
Lama Ole Nydahl: Wir haben mit dem Thema viel Verantwortung übernommen. Das bedeutet, dass wir uns sicher sein müssen.
Caty Hartung: Es wäre auch nicht nützlich gewesen, dieses Buch nach Sogyal Tulkus großem Erfolg zu veröffentlichen. Wenn ein Buch mit genaueren Informationen und Methoden zehn Jahre später erscheint, sind die Leute eher bereit dafür. Wenn Lama Ole ein Jahr später herausgekommen wäre, hätte niemand sein Buch gelesen. Ich denke, dass jetzt ein guter Moment dafür ist, dass etwas
Neues und Praktisches herauskommt.
Lama Ole, du bist ein Lama, der mit Tod und Sterben und den buddhistischen Methoden für den Tod arbeitet. Wie kam es dazu, dass du so viel mit dem Thema zu tun hast? Wo und von wem hast du das gelernt? Was sind die Quellen für die Lehren die du gibst?
Lama Ole Nydahl: Tatsächlich war es der Wunsch unseres Lamas, des einzigartigen 16. Karmapa. Früh im Jahre 1971 gab er eine wichtige Ermächtigung auf eine acht-armige grüne Form der Befreierin, namens Dölma Naljorma, die Befreierin für die Yogis. Es war ein ungewöhnliches Ereignis und die Menschen kamen von überall um daran teilzunehmen. Während er die Ermächtigung gab, nahm Karmapa die Form eines faszinierenden grünen 16-jährigen Mädchens an. Hannah und ich saßen ganz vorne und waren völlig hin und weg.
Am nächsten Morgen sagte Karmapa: "Ihr solltet von Ayang Tulku das Phowa lernen, der eine besonders feine Übertragungslinie dafür hält. Er ist für die Ermächtigung hier und ich werde mit ihm reden."
Erst mussten wir allerdings heimreisen um Geld zu verdienen. In einer Schule für schwierige Kinder räumten wir nachts die Möbel wieder auf, während wir tagsüber in einer anderen Schule unterrichteten. Als ich einmal eine halbe Stunde ohne Unterricht hatte und alleine meditierte, dachte ich: "Jetzt haben wir das Geld. Wir brauchen ein Zeichen, wohin wir gehen sollen." In dem Augenblick gingen einige Kinder langsam durch den Raum und trugen einen großen Umriss von Indien. Darauf stand nur ein Name. An der südlichen Spitze des Landes war ein Kreis mit "Bangalore" darin und das B war ohne den Strich geschrieben, also wie ein gekipptes M - was sowohl Bangalore als auch Mangalore bedeuten konnte. Das war es, worauf ich gehofft hatte. Es gibt eine Straße durch Südindien, von Bangalore nach Mangalore, mit einem großen tibetischen Flüchtlingslager nahebei, in das wir einige Tage zuvor von Ayang Tulku eingeladen worden waren.
Die Einladung listete auch Dinge auf, die Indiens sozialistische Wirtschaft nicht herstellen konnte und als letzte Bestätigung eine Beschreibung, welchen Geheimweg wir ins Lager nehmen sollten. Am nächsten Morgen kam ein Päckchen mit schwarzen Pillen von Karmapa an. Diese kleinen schwarzen Pillen tragen seinen direkten Segen. So sagten alle Umstände: "Geht!"
Wir erreichten Bombay Anfang Januar, nahmen mehrere Züge nach Süden und lernten dann gut und gründlich mit Ayang Tulku. Ich hatte bereits in der ersten Sitzung das Zeichen. Als ich die Geräusche für das Hochgehen hörte, lag ich bereits auf dem Rücken und war draußen. Es war ähnlich einer Erfahrung, die Hannah und ich einmal mit einem Yogi nahe des Base Camps im Himalaya gehabt hatten, und ich konnte kaum glauben, dass es so schnell geht. Ich berührte meine Schädelkrone, fand dort etwas Blut, aber dachte immer noch: "Das kann nicht sein. Ich habe immer so viel Ärger gemacht, es kann nicht so schnell gehen." Wir machten weiter und dann erhielt auch Hannah ein schönes Zeichen.
Zuerst praktizierten wir im Flüchtlingslager, aber die Inder wollten dort keine Ausländer haben. Die Chinesen behaupteten, dass die Flüchtlinge Kriminelle seien und wollten, dass sie zurückgeschickt und verurteilt würden. Das war einer der Gründe, warum 13 tibetische Siedlungen weit unten im Süden bei Bylakuppe und auch weiter nördlich bei Mundgod, ein oder zwei Stunden Busfahrt von Bombay, angelegt wurden. Vor allem in diesen beiden Gebieten wurde die zweite Welle von Flüchtlingen, die diesmal vor der Kulturrevolution flohen, angesiedelt. Wenn wir dort geblieben wären, wäre es für unsere Freunde, die ohnehin schon genug Probleme hatten, zu schwierig gewesen.
Deswegen übten wir in einem feuchten Haus in einem lokalen Dorf mit dem glückverheißenden Namen Kushinagar - Glücks-Stadt - dem Namen des Ortes an dem Buddha starb.
Von hier gingen wir nach Mundgod, ein nördliches Lager. Das Camp war völlig abgeschirmt, so dass wir uns früh morgens an der noch schlafenden Polizei vorbei hineinschleichen mussten. Hier blieben wir ungefähr einen Monat. Da es dort eine große Tuberkulose-Epidemie gab, war es die Stelle um das Gelernte zu teilen.
Überall starben die Tibeter an dieser hässlichen Krankheit. Ihre an das Hochland gewöhnten Lungen ziehen auf vier bis sechs Kilometer Höhe, vier von vier Molekülen Sauerstoff aus der Luft. Unten in Indien brauchten sie aber nur eines von vier, atmeten also kaum durch und hatten noch keine Widerstandskraft gegen die Krankheit, so dass sehr viele Tibeter starben. Hannah verbesserte zu der Zeit ihr Tibetisch, reiste mit Ayang Tulku und sie gaben die Erklärungen und Ermächtigungen. Ich folgte ein paar Tage später und zog sie durch. Ihre Dankbarkeit war sehr bewegend.
Du hast also einen ganzen Monat lang Phowa praktiziert?
Lama Ole Nydahl: Ja, jeden Tag. Manchmal schockierten mich die Tibeter wirklich mit ihrem Vertrauen. Ich erinnere mich an einen kräftigen Burschen, der Elephantiasis hatte. Ich sagte ihm: "Du gehst ins Krankenhaus!" Es gab dort ein kleines Hospital, durch Arznei aus dem Westen gefördert.
Er lehnte es rundweg ab. "Nein, ich lerne Phowa. Das ist für immer und ich werde sowieso irgendwann sterben." Ich sah ihn im Krankenhaus wieder, nachdem er das Zeichen bekommen hatte. Er überlebte. Dann gingen wir mit unseren Rucksäcken durch den Kontrollposten raus und die indischen Soldaten verrenkten sich schier, um uns nicht sehen zu müssen.
Nun bist du ein Halter dieser speziellen Methode, die "Bewusstes Sterben" oder auf Tibetisch Phowa genannt wird. Kannst du kurz erklären, worum es sich dabei handelt?
Lama Ole Nydahl: Es ist schwierig, den Körper zu verlassen, während man noch lebt, denn die Sinneseindrücke halten den Geist fest. Wenn aber Offenheit und Übertragung zusammenkommen und der Lehrer davon überzeugt ist, etwas Bedeutungsvolles und Gutes zu vermitteln, schaffen es fast alle, den Zentralkanal im Körper zu öffnen. Das ist sehr wichtig, denn wenn wir nicht gerade mit einem Motorrad mit hoher Geschwindigkeit auf etwas auffahren, womit der Geist sich unmittelbar von den Energiebahnen im Körper löst, wird der Geist durch eine der Körperöffnungen aus dem Körper austreten: Entweder eine der sieben im Kopf oder in sehr schwierigen Fällen - durch eine der beiden unteren - wobei die Entspannung des Todes, die eine Entleerung von Darm und Blase mit sich bringen kann, davon unabhängig ist.
Soviel ich über Stalins Tod verstanden habe, ging er zum Beispiel. durch eine untere Öffnung hinaus, was zu erwarten war. Wenn das Bewusstsein durch eine der biologischen Öffnungen entweicht, nimmt der Tote seine Eindrücke, also sein Karma mit, all die angenehmen Erfahrungen, aber auch das schwere Gepäck.
Ist durch das Phowa der überpersönliche Energiefluss im Körper geöffnet worden, geht nur der Bewusstseinstrom an sich weiter, unbeladen von Eindrücken aber völlig wonnevoll und bewusst. Man nimmt nichts mit. Jedes Karma, alle unterbewussten Eindrücke, alle Blockaden und Hindernisse bleiben zurück. Sie bleiben in den durch den Körper bedingten Energiebahnen und beeinflussen die Befreiung aus dem Körper nicht. Begrenzungen durch das gewohnte Erleben einer bedingten Welt verschwinden in den Kraftfeldern der Buddhas und wie die Störgefühle damit verschwunden sind, ist die Aufgabe nun, die steifen Ideen in den Reinen Ländern anzugehen.
Sind heutzutage irgendwelche Vorbereitungen nötig, um an einem solchen Phowa-Kurs teilzunehmen?
Lama Ole Nydahl: Je besser vorbereitet und begeistert bewusster man ist, umso angenehmer und fließender sind die Ergebnisse. Wir empfehlen den Leuten, als Vorbereitung 100000 Mantras Om Ami Deva Hri zu machen, und sich so für den Roten Buddha und seinen Zustand von Wonne über dem eigenen Kopf zu öffnen. Es ändert das ganze Gefühl der Praxis. Wenn Leute keine Verbindung zu dem Buddha haben und ich für sie Phowa mache, gehen sie für gewöhnlich in eine "geschlossene" Lotusblüte, bis sie lernen, abstrakt zu denken. Dann öffnet sie sich, sie sehen den Buddha und die eigentliche Entwicklung beginnt.
Wenn Leute dieses Buch lesen und Vertrauen gewinnen, ohne dich getroffen zu haben: Was kann es ihnen dann in ihrem letzten Moment geben, auch wenn es keine Buddhisten in der Nähe gibt?
Lama Ole Nydahl: Wenn sie es wollen, ist überall Hilfe. Der Geist geht dorthin, wo man ihn lenkt. Geist ist ungehinderter Raum und worauf man sich einstellt, das wird entstehen. Das Buch erzeugt einen Haken, für welchen Ring auch immer. Der Ring ist die eigene Offenheit und der Haken ist der Segen des Reinen Landes, das Kraftfeld, womit man Verbindung aufnimmt und das man betreten möchte. So ist es immer.
Caty Hartung: Die Leute, die praktizieren, werden ein bisschen mehr praktizieren, denn sie wissen, dass das ihre Chance ist sich vorzubereiten.
Du erwähntest auch Nahtod-Erfahrungen. Könntest du darüber etwas mehr sagen?
Lama Ole Nydahl: Nahtod-Erfahrungen sind gelegentliche Hinweise darauf, dass der Geist kein Erzeugnis vom Gehirn ist sondern eher durch ihn umgewandelt wird. Es gibt hier einen Fall, in dem das Wissen leider verlorengegangen ist. Eine Ski fahrende Frau in Norwegen stürzte in einen Fluss und geriet unter das Eis. Wenn ich mich richtig erinnere, war sie dort sieben oder acht Stunden lang und als man sie fand, betrug ihre Körpertemperatur nur noch 13 Grad. Als sie wieder aufgewärmt und wiederbelebt worden war, hatte sie so wenig Gehirnschaden erlitten, dass nur einige Nervenverbindungen zu ihren Fußgelenken geschwächt waren. Alles andere war völlig in Ordnung.
Sie erzählte einer Ärztin von ihren Erfahrungen und diese wurden aufgeschrieben, wie es gute Ärzte tun. Als sie später ging, hielt die Ärztin es allerdings für komisches Zeug und warf die Notizen weg. So ging dieses Wissen aus erster Hand verloren.
Aber auch du hattest eine Erfahrung, die sehr mit dem Tod in Verbindung stand?
Lama Ole Nydahl: Wie schon erwähnt, hatte ich einen Unfall, wobei ich fast starb. Meine Lungen waren kollabiert, die Hüfte war gebrochen und der Knochen in meinem rechten Oberschenkel sah nach kubistischer Kunst aus. Ich war nicht gerade in guter Verfassung.
Zu der Zeit starb ein alter Freund von mir. Ein Zivildienstleistender setzte einen VW-Transporter zurück und eine lange Eisenstange durchdrang seinen Kopf, als er gerade vorbeiging. Es war ein Hirntod, kein Herztod. Als Lama der Familie wurde ich gefragt, was zu tun sei und ich wusste, dass die Familie bereits beim Frühstück über Organspende gesprochen hatte. Sie hatten sich alle zusammen darauf geeinigt. So sagte ich: "Sagt mir Bescheid, wenn die Organe entnommen werden" und die Antwort war 18.30 Uhr.
Caty Hartung: Zu der Zeit lag Lama Ole auf der Intensivstation.
Lama Ole Nydahl: Die ganze Lage war ungewöhnlich und es wurde zu einer riesigen Erfahrung, diesen Freund in das Reine Land des Buddhas des Grenzenlosen Lichtes zu bringen. Ich befand mich in einer riesigen Statue, die mich irgendwie an den großen Bismarck in Hamburg erinnerte. Die Wände bestanden aus roten Backsteinen. Sein Geist war wie ein amerikanischer spitzer Fußball unter meinem Arm. Ich flog hoch, durchschlug den Kopf der Statue, sah Licht, aber dann schloss sich die Öffnung gleich wieder. Das war mir nie zuvor passiert. Es war immer sehr leicht gewesen, Leute hochzubringen und das hier war seltsam.
Ich entspannte mich für eine Stunde, um zu sehen, was geschehen würde. Dann kamen Hannah und Caty zurück und sagten, dass die Zeit auf 20.00 Uhr geändert worden war. Was für eine Erleichterung! Wenn ich ihn um 18.00 Uhr herausgebracht hätte, wären seine Organe vielleicht unbrauchbar geworden. Um 20.00 Uhr kamen die Hubschrauber, um die Organe zu verschiedenen Patienten zu bringen und so war nun alles richtig. Mit Freude erlebte ich, wie die Spitze der Statue sich öffnete und sah auf dem Weg, dass mein Roter Buddha - Öpame - stand statt zu sitzen. Ich bewegte mich durch seinen burgunderroten Raum und brachte meinen Freund in sein Herzzentrum, mitten in der Brust.
Dann folgte eine Zeit, an die ich mich nicht erinnere, wohl, weil die Wonne so stark war. Meine nächste Erfahrung war, dass ich rechts vom Buddha war und sein Profil ansah: Er sah übrigens sehr wie Shamar Rinpoche aus. Ich dachte: "Jetzt bin ich im Reinen Land und werde mich umschauen".
Nachdem ich überall gewesen war und die erstaunlichsten Dinge erfahren hatte - wie im Leben aus der Sichtweise des Schützen- Wollens - wusste ich zu einer bestimmten Zeit, dass ich wieder runter musste. Sonst gäbe es dort nichts mehr, wozu ich zurückgehen könnte. Das letzte, was ich sah, waren Insekten, die Krankheit erregende Keime fraßen. Dann war ich wieder in meinem Körper im Spital.
Warum kamst du zurück? Es muss eine besondere Motivation dafür gegeben haben?
Lama Ole Nydahl: Der Gedanke ist kaum aufgetaucht. Ich kam bewusst aus dieser Welt, ging zwar ins Reine Land, aber musste wieder zurück, um noch viel mehr zu tun. Das Verständnis war klar.
Dies war meine bisher bedeutungsvollste Erfahrung und jedes Mal wenn ich darüber sprach, wiederholte ich: "Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie schön das ist, was uns erwartet".
Das Krankenhaus hatte noch nie einen Patienten wie mich gehabt und ich machte den Ärzten ihre Arbeit schwer. Jeder andere sagte: "Oh, es tut hier weh und da" und ich sagte: "Oh, Sie machen alles so gut, Sie haben so hervorragende Zusammenarbeit...". Ich war einfach weiterhin im Reinen Land, was ein klares Krankheitsbild unmöglich macht.
Warum haben die Leute soviel Angst vor dem Tod, wenn er doch so vielversprechend ist?
Lama Ole Nydahl: Es kommt darauf an. Ich denke nicht, dass Stalin den körperlosen Zustand vielversprechend fand. Ich denke auch nicht, dass Mao Tse-Tung es angenehm fand. Ich glaube nicht, dass Hitler, Khomeini oder die heutigen Selbstmordattentäter und Vertreter Frauen-unterdrückender Kulturen es genießen. Man erfährt hier den Inhalt des eigenen Geistes, die Ergebnisse der eigenen Einstellung und der daraus entstehenden täglichen Handlungen.
Wenn einen die Sinneseindrücke nicht länger ablenken, werden Freude und Schmerz unermesslich viel stärker und halten viel länger an, als was wir jetzt kennen oder uns in diesem Leben vorstellen können. Jede Verbindung zu etwas, das jenseits vom Persönlichen geht, ist hier der allerbeste Freund und insbesondere wer die mittlere Energieachse im Körper durch das Phowa geöffnet hat und aus der Spitze des Schädels austreten kann, geht in Freude ohne jegliches schweres Gepäck.
Was ist der Tod aus buddhistischer Sicht?
Lama Ole Nydahl: Eine Umwandlung. Der Geist ist zeitlose Bewusstheit und Energie. Er haftet aber wegen seiner Unfähigkeit, sich selbst als Teil einer Ganzheit zu erfahren, an unterschiedlichen, bedingten Zuständen und erzeugt durch vorherrschenden Stolz, Eifersucht, Anhaftung, Verwirrung, Gier oder Hass die sechs Welten. Er kann aber auch durch die edlen, wertvollen Eigenschaften, die das zeitlose Wesen des Geistes sind, einen befreien oder gar erleuchten. So ist man im besten Fall von einem Universum oder einer Existenz seit anfangsloser Zeit in die nächste gegangen. Wenn ein Inhalt verbraucht ist, erscheint ein Zwischenzustand und innerhalb von sieben Wochen reift die nächste Erfahrungswelt heran, mit oder ohne festen Körper.
Das geschieht sowohl bei Buddhisten als auch bei Nicht-Buddhisten?
Lama Ole Nydahl: Ja, es geschieht mit jedem Wesen. Die Frage ist, ob man den Zustand kennt, wegen einer überzeugenden Zuflucht mit der Situation arbeiten kann oder nicht. Nur darum geht es. So wie jeder ein Gesicht hat, ob man in den Spiegel schaut oder nicht.
Buddhisten haben normalerweise nicht so viel Angst vor dem Tod. Warum nicht?
Lama Ole Nydahl: Zuerst einmal hat man einfach weniger Angst vor Zusammenhängen, die man versteht. Das Unbekannte erschreckt die Menschen. Im Buddhismus erklären viele Lehren den Tod. Sie unterscheiden sich je nachdem, was die Schüler verstehen können. Aber durchgehend ist klar, dass der Geist unzerstörbarer Raum ist und dass uns kein Schwarzes Loch erwartet. Im Diamantweg-Buddhismus erklärt er die anfangslosen Verläufe von Tod und Wiedergeburt auf unterbewussten, wie bewussten Ebenen, vom Verschwinden der Sinneseindrücke, bis zur Wiedergeburt, wenn innerhalb von sieben Wochen unsere stärksten geistigen Neigungen heranreifen und unser nächstes Leben gestalten.
Caty Hartung: Heutzutage haben die Menschen mehr Angst vor dem Tod. Der Tod ist selten ins Leben eingebunden. Früher starb man in der Familie oder von Freunden umgeben. Nun endet man für gewöhnlich im Krankenhaus. Profis kümmern sich um all die Hilfe und Pflege. Leichen werden oft nachts aus den Krankenhäusern fortgebracht, damit niemand sie sieht. Die Menschen sind zu schüchtern oder peinlich berührt, um mit Sterbenden zu reden.
Sterben wird immer "unmenschlicher" und es fehlt echte Information über den Prozess. Die Trennung von Leben und Tod erzeugt die Angst vor dem Unbekannten in modernen Gesellschaften. Diese Tendenz hat sich über Jahrhunderte entwickelt. Seit den 1960er Jahren probieren Hospize einen auf die sterbende Person ausgerichteten Ansatz, und ihre Werte, Pflege, Mitgefühl, Wissen und Hilfe für die Umgebung sind eine große Chance für die Umkehrung dieses Prozesses.
Lama Ole Nydahl: Genau. Die Stufen und Ereignisse, die der Buddhismus beschreibt werden überzeugend, wenn man die Möglichkeit hat, an ihnen teilzunehmen.
Caty Hartung: Wenn Tibeter über den Tod reden, ist das erstaunlich. Unser Verhalten beim Tod von Menschen ist sehr gefühlsgeladen, aber für Tibeter ist das ganz anders. Wenn Karmapa über jemanden spricht, der gerade gestorben ist, fühlt sich das völlig normal an. Da ist keinerlei Schmerz oder Trauer. Für sie ist das einfach der nächste Schritt, es gibt kein Ende im Kreislauf des Lebens. Der Tod ist ein Teil davon.
Lama Ole Nydahl: Wenn Menschen den Tod aus der Perspektive des persönlichen Verlustes sehen, sage ich meistens: "Sei nicht unglücklich, wenn jemand stirbt. Wenn er gut war, wird er jetzt viel glücklicher sein als zuvor in seinem Körper. Und wenn er schlecht war, hat er jetzt zumindest damit aufgehört, Schwierigkeiten zu machen und mehr Leidbringendes anzuhäufen." Das Letztere zu sagen, ist nach einiger Zeit der Reife praktisch, aber meistens nicht das erste, was man sagen sollte.
Wie kann man Sterbenden helfen, wenn man kein Buddhist ist oder keine Mittel kennt?
Lama Ole Nydahl: Mir wurde gerade zugeflüstert, dass Leute mit Verantwortung das Buch lesen sollten. Das wäre tatsächlich eine sehr gute Idee und Vorschlag. Es war eine Freude, es mit der weisen Caty zu schreiben und ich denke, dass es durch unseren klaren Stil sehr nützlich werden wird.
Viele Menschen denken, dass der Tod das absolute Ende ist. Sie verbinden den Geist mit dem Gehirn und denken, dass es nach dem Tod nichts mehr gibt. Was soll man ihnen sagen?
Lama Ole Nydahl: Dass der Geist Raum und Gewahrsein ist, also kein Ding. Dass er deswegen weder entstanden ist, noch vergehen kann. Aus dieser Einsicht entsteht Furchtlosigkeit. Sie führt zu selbstentstandener Freude an dem Reichtum des Lebens und schließlich zu einem sinnvollen Verhältnis zur Umwelt.
Es ist überzeugend, wenn man - wie meine Frau Hannah und ich - völlig unerwartet, eine Stelle wiederfindet, von der man weiß, im letzten Leben dort gewohnt zu haben und dann bestätigt bekommt, der eigene Hauptlama aus diesem Leben sei nach 1924 dort aufgewachsen.
Können wir unsere zukünftigen Leben beeinflussen?
Lama Ole Nydahl: Wir tun das die ganze Zeit - unsere Taten, Wünsche und vor allem unsere Sicht bestimmen sie.
Prag, Tschechische Republik, 31.12. 2010
Die Fragen wurden zusammengestellt von verschiedenen Redaktionen der internationalen Ausgaben der "Buddhismus Heute"