Aus: Buddhismus Heute Nr. 50, (Herbst 2011)

Auf der Suche nach dem alten Tibet

Interview mit dem Filmemacher Vilas Rodizio

Wie ist die Idee zu diesem Film entstanden?
Ich glaube, viele von uns sind von der Idee fasziniert, dass die Welt eher ein Traum, als feste, materielle Wirklichkeit ist und wir lassen uns sehr leicht von den magischen Geschichten der Yogis in Tibet begeistern. Ich bin da nicht anders als die meisten "Begierde-Typen" – deswegen sind wir wohl Kagyüs. (Vilas lacht) Von allen buddhistischen Büchern, die ich als frischer Buddhist verschlungen habe, hat mich am meisten die Lebensgeschichte von Milarepa und sein Beispiel begeistert. Vor Jahren schon entstand der Wunsch, nach Tibet zu fahren und einen richtigen Yogi mit eigenen Augen zu sehen. Ein Film-Skript hat es nie gegeben – wir sind einfach drauflos gereist, in der Hoffnung, irgendetwas von der Yogi-Tradition zu finden.

Was ist Dein Hintergrund – als Filmemacher, Buddhist und Himalaya-Reisender? Hat es Dich immer schon nach Tibet gezogen?
Ich habe eine normale Filmkarriere in der Kamera-Abteilung hinter mir: Praktikum, Filmschule, Kamera-Assistent und Kameramann. Allerdings hatte ich meinen Fernseher schon aus der Wohnung verbannt, bevor ich Buddhist wurde. Irgendwann ist mir dann aufgefallen, dass ich keinen wirklichen Bezug zu den Produkten meiner Arbeit hatte und es entstand der Wunsch, an Filmprojekten zu arbeiten, die etwas mehr bewirken, als nur zu unterhalten. Dieser Wunsch hatte dann schnell die Karriere-Ambitionen überholt. Es dauerte aber noch einige Jahre, bis die Bedingungen zusammen kamen, um in Tibet zu filmen.
Ich war schon immer ein Vielreisender und es ging immer in den Osten. So war ich zum Beispiel an der Swayambhu-Stupa in Kathmandu und in Shamar Rinpoches dortigem Kloster, bevor ich kurz danach, 1995, bei Lama Ole Zuflucht genommen habe. In Tibet war ich vor der ersten Drehreise allerdings noch nie.

War es schwierig, die im Film gezeigten Yogis dazu zu bewegen, sich filmen und interviewen zu lassen?
Es war nicht ganz leicht überhaupt Yogis zu finden. Im Telefonbuch in Lhasa haben wir unter "Y" nichts gefunden. (Vilas lacht)
Es war wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Meistens sind wir in einer Stadt zum größten Kloster gegangen, haben dort nach dem höchsten Lama gefragt und bekamen eigentlich immer eine Audienz. Allerdings wussten viele monastische Würdenträger nicht viel davon, was in den umliegenden Bergen passiert. In Karma Gön zum Beispiel war der etwa 30 Jahre alte Khenpo davon überzeugt, dass es schon lange keine Yogis mehr in Tibet gäbe.
Manchmal hatten wir zwar einen Yogi aufgespürt, aber er war im Retreat: "Kommt am besten im nächsten Frühjahr wieder", hieß es. Die meisten Yogis haben wir eher zufällig gefunden – so wie den "Barfuß-Lama". Auf einer Taxifahrt hatten wir sein Foto auf der Sonnenblende entdeckt.

Ich bin mir nicht sicher, ob alle Yogis verstanden haben, was wir da eigentlich genau machen und wofür das gut sein soll. Einem Yogi hatte ich das Ansteck-Mikrofon an seine Robe geheftet und er hatte es dann abgezogen und sich damit das Ohr gereinigt. Es gehört zu dem Yogi-Weg, alle weltlichen Belange – die sogenannten "acht weltlichen Dharmas" – hinter sich zu lassen. Dazu gehört auch, sich nicht selbst zu loben oder von seinen erworbenen Fähigkeiten zu erzählen. Zum Glück nahmen das aber nicht alle so ganz genau – der "Barfuß-Lama" hatte bei unserer ersten Begegnung geredet wie ein Wasserfall.

Einige dieser Yogis hatten ja wahrscheinlich nie viel Kontakt zu westlichen Buddhisten. Wie haben sie das aufgenommen, was Ihr ja wahrscheinlich über Diamantweg im Westen erzählt habt?
Wir haben die Kamera nie gleich am ersten Tag rausgeholt, sondern immer erst versucht, uns und den Buddhismus im Westen, an Hand von Fotos vorzustellen und einen persönlichen Kontakt herzustellen.
Besonders begeistert waren sie von den vielen Zelten auf unseren Sommerkursen – irgendwie kam ihnen das vertraut vor. In einigen Situationen war ich total verblüfft davon, wie schnell eine echte Nähe und Vertrautheit mit den Tibetern entstand, besonders mit Kagyüs. In der Gosche Gompa, einem Kloster von Shamarpa, liefen die Mönche mit mir Hände haltend über das Gelände und erzählten mir von den alten Mahamudra-Meistern. Auf der äußeren Ebene konnten wir nicht viel unterschiedlicher sein – tibetische Mönche und westlicher "Zivilist" – aber das Familiengefühl war mehr als deutlich, alte Verbindungen.
An den meisten Orten waren vor uns noch nie Weiße gewesen und die Tibeter hatten großen Respekt vor dem Aufwand, den wir für diese "Pilgerreise" unternommen hatten. Der Repa1 im Film, Tsültrim Tarchin, hat allerdings zu mir gesagt: "Du kommst von weit weg hierher und solltest nicht nur Fotos machen, sondern auch etwas von mir lernen!"

Habt Ihr Belehrungen von den Yogis erhalten?
Es gab einige generelle Belehrungen zur Meditation oder zum Mahamudra – aber keine Meditationsanweisungen. Das war auch nicht unser Ziel. Auf unserer zweiten Reise hatte der Repa angeboten, uns "Tummo" beizubringen, die Meditation der "Inneren Hitze". Es sagte dazu aber auch: "Kommt dafür lieber im Frühling wieder – es dauert einige Monate, bis es wirkt."

Hat es Dich überrascht, dass es in Kham noch so viele große Meister gibt? Viele denken ja heutzutage, dass in Tibet buddhistisch nicht mehr viel Qualität zu finden sei.
Unser Versuch, im Vorfeld der Reise irgendetwas über Yogis in Tibet in Erfahrung zu bringen, verlief kläglich und meine größte Angst war es, eventuell feststellen zu müssen, dass es wirklich keine Yogis mehr gibt. Allerdings hatte ich 2006 ein Gespräch mit Gyalwa Karmapa in Kalimpong, in dessen Verlauf ich ihm von meiner Filmidee erzählte. Karmapa versicherte mir, dass es noch Yogis in Tibet gäbe – und dass es allerdings auch von dem persönlichen Karma abhänge, ob man sie treffen könne.
Einerseits war ich froh das zu hören, andererseits war das "Yogi-Karma" unserer Reisegruppe ein nur schwer einzuschätzender Faktor.
In Tibet haben wir dann erfahren, dass der 16. Karmapa vor seiner Flucht 1959 seinen Retreatmeister von Tsurphu, Mahasiddha Karma Norbu, gebeten hatte, in Tibet zu bleiben und sich um den Erhalt der Yogi-Tradition zu kümmern. Karma Norbu soll über 1000 Schülern die "Sechs Yogas von Naropa" übertragen haben. Fast alle Yogis, die wir getroffen haben, waren seine Schüler.

Kannst Du sagen, was Dich bei dem ganzen Projekt am meisten bewegt hat? Welche Stelle oder welcher Meister zum Beispiel? Was blieb als stärkster Eindruck für Dich, wenn Du zurückdenkst?
Die ganze Reise war ein riesiges Abenteuer und zugleich wie ein Traum. Wir hatten am Anfang einige Hindernisse – so saßen wir zum Beispiel über eine Woche in Derge fest, weil wir keinen Übersetzer mehr hatten. Unsere Reise nach Karma Gön war illegal – wir hatten keine Visa für die TAR (Tibet Autonomous Region) – und quälten uns so eine Nacht mit einem Jeep auf Nebenstrecken durch Matsch und Eis.
Nach sechs Wochen hatten wir eigentlich schon jede Hoffnung aufgegeben, wirkliche Yogis zu treffen – und dann begegneten wir dem Repa Tsültrim Tarchin, einem Yogi, der genauso lebt, wie Milarepa vor 900 Jahren. Unsere Begegnung dauerte nur wenige Minuten und er hatte nicht mit uns gesprochen – aber wir waren am Ziel angekommen.

Plant Ihr weitere Reisen nach Kham und weitere Filme?
Ja, bestimmt. Wer einmal in Tibet war, der will irgendwann dorthin zurück. "Auf der Suche nach den Alten Tibet" ist mein erster Dokumentarfilm und solange die Leute meine Filme ertragen, mache ich weiter. (Vilas lacht)
Wir waren nach der ersten Reise noch zweimal in Tibet und ich hoffe, dass ich schon genug Material für einen zweiten Film habe. Der erste Film ist so eine Art Road-Movie, wir sind einfach unbedarft durch Kham gereist und haben drauflos gefilmt. Im nächsten Film will ich mehr auf die Yogis eingehen. Was machen Yogis eigentlich, warum tun sie es und wie geht das überhaupt? Ich habe mit dem Repa auf der zweiten Reise ein anderthalb-stündiges Interview geführt, in dessen Verlauf er mir erzählte, woher die Wärme beim Tummo kommt und warum er Handabdrücke im Felsen hinterlassen kann und ich nicht. Ich arbeite dran – am zweiten Film und an den Hand-Abdrücken. (Vilas lacht)

Im Gespräch mit Vilas : Detlev Göbel, Redaktion Buddhismus Heute

1 Repa: Eines von verschiedenen tibetischen Wörtern für das Sanskrit-Wort "Yogi"


Anmerkung der Redaktion:
Vilas Rodizio ist ein Pseudonym, der Redaktion ist der wirkliche Name bekannt. Der Autor möchte anonym bleiben, um spätere Reisen nach Tibet nicht zu gefährden.