Das Verlassen der KomfortzonePilgerreise zum Berg Kailash - Von Artur BaussmerthDer Samen für diese Reise wurde auf einer Pilgerfahrt mit Manfred Seegers und Hans Embert gesetzt, als sich uns in Kalimpong der 8.586 Meter hohe Kangchenjunga zeigte. "Warum nicht mal zum Kailash als nächstes Ziel?" Die Reise wurde für 2008 geplant, aber im Jahr der Olympiade in Peking, die von zahlreichen Unruhen in Tibet gekennzeichnet war, beantwortete der 17. Gyalwa Karmapa Thaye Dorje die Frage von Hans Embert1 dazu mit: "Don‘t go!" Im Jahr darauf war seine Antwort schon: "Be careful at the border...". Erst nachdem Karmapa uns 2010 sein OK gab, flogen 19 Schüler von Lama Ole Nydahl im September 2010 über Indien und Nepal in Richtung Kailash. New Delhi Am nächsten Morgen konnten wir dann in Jomson landen und zusammen mit unserer Vorhut machten wir uns auf eine Jeeptour nach Kagbeni. Wir holten uns einen Segen an einer Stelle, an der Guru Rinpoche einen Dämon besiegt hatte, dessen Kopfabdruck samt Blut (angeblich) noch an den Felsen zu sehen ist. In Kagbeni besichtigten wir das Sakya-Kloster "Kag Chode Thupten Samphel Ling", von wo wir einen wunderschönen Ausblick hatten, ehe wir zu unserer ersten Bergtour aufbrachen. Hier traten schon auf 3400 Meter bei einigen erste Symptome von Höhenkrankheit auf. Zum Glück hatten wir aber gleich zwei erfahrene Ärzte dabei, die mit Schulmedizin und homöopathischen Mitteln helfen konnten. Am nächsten Tag kam von Jomsom wieder nur ein Teil von uns mit dem Flugzeug nach Pokhara und Kathmandu durch. Als am darauf folgenden Morgen immer noch kein Flug ging, beschlossen wir einen Hubschrauber zu mieten. Ein unvergessliches Erlebnis, mit dem kleinen Fünfsitzer knapp über den Bergspitzen zu schweben. In Kathmandu trafen wir im Guesthouse von Lopön Tsechu Rinpoches Kloster in der Nähe des Swayambhu-Stupa unsere Vorhut wieder und am nächsten Morgen kurz vor sechs Uhr brachen wir mit zwei Kleinbussen zur tibetischen Grenze auf. Die Fahrt führte durch grüne Landschaften und Straßen, die teilweise durch starke Regenfälle der letzten Wochen unterspült worden waren. Vor der Grenze wurden wir von zahlreichen Sherpas umringt, die sich ihr Geld damit verdienen, Lasten über die Brücke nach China zu tragen. Es sind fast nur Frauen, die sich als Träger verdingen und dabei das Vielfache ihres Körpergewichts tragen. Einige aus unserer Gruppe konnten den Anblick der ausgezehrten schwer schleppenden Frauen nicht ertragen und trugen ihr Gepäck selbst. Andererseits war es für die Frauen wohl auch die einzige Möglichkeit, etwas Geld zu verdienen. Einige von uns waren gesundheitlich schon ziemlich angeschlagen und so entschlossen wir uns in Nyalam, noch eine weitere Nacht im besten Hotel der Stadt zu verbringen, bevor wir danach nur noch in Zelten schlafen würden. Wir besuchten hier eine Höhle, in der Milarepa auf seinem Weg zum Kailash drei Jahre meditiert hatte. Sie liegt inmitten einer schmucken neu gestalteten Ortschaft, die für uns so aussah, wie sich Chinesen eine tibetische Siedlung vorstellen. Es wirkt alles so, als wollte man es für den Tourismus schön machen. Im Vorraum der Höhle waren einige Handwerker und Thangka-Maler aktiv, denen wir mit unseren von Gyalwa Karmapa gesegneten Liebevolle-Augen-Karten und Segensbändern eine große Freude machten. Zu unserer Überraschung öffnete uns der einzige Mönch, der diese Stelle betreute, noch eine weitere Tür zu einer Höhle von Milarepas Schüler Rechungpa. Er bekam von mir eine meiner von Gyalwa Karmapa und Lama Ole gesegneten Doppelbilder mit dem 16. Karmapa auf der einen Seite und dem 17. Karmapa Thaye Dorje auf der anderen Seite. Schon in Jomson hatten wir diese Doppelbilder in den tibetischen Shops als Gegengewicht zu den Bildern von Urgyen Trinle hinterlassen. Von der "Chiu Gompa", einem Nyingma-Kloster auf einem Berg über einer Höhle, in der Guru Rinpoche sechs Tage verweilte, war der Ausblick auf Kailash und Manasarovar-See wieder unvergleichlich. Etwas unterhalb des Klosters standen einige Stupas, wie in Tibet üblich, umgeben von Feldern mit Mani-Steinen und Yak-Schädeln, auf denen das Mantra von Liebevolle Augen zwischen die Hörner geschnitzt worden war, was uns zum ausgiebigen Fotografieren einlud. Am zweiten Tag gab es mittags eine unerwartete Zwischenmahlzeit. Plötzlich standen zwei große Zelte am Weg und es wurde eine heiße Suppe angeboten. Bei den meisten von uns führte sie später leider zu einem flotten Stuhlgang, weil sie mit nicht desinfiziertem Wasser zubereitet worden war. Auf dieser Höhe liegt der Siedepunkt weit unter 100 Grad, nicht ausreichend zum Abkochen. Unsere Köche hatten wir instruiert, das Wasser für unsere Mahlzeiten vorzubehandeln, auch wenn dadurch alles sehr nach Chlor schmeckte. Das Ziel des zweiten Kora-Tages war die auf über 5.000 Meter Höhe gelegene "Drira Phuk", genannt nach einer dem Kagyü-Lama Gyalwa Götsangpa als weibliches Yak erschienenen Dakini, die ihn hier im 13. Jahrhundert in eine Höhle als Schutz vor dem plötzlich eintretenden Eisregen führte. Dies ist auch die Stelle, wo man bei der äußeren Kora dem Kailash am nächsten ist. Von unserem Lager hatten wir einen wunderbaren Blick auf die Nordwand des Kailash und den davor liegenden Bergen, die den drei großen Bodhisattvas Manjushri, Avalokiteshvara und Vajrapani zugeordnet werden. Der dritte Kora-Tag begann nach der bisher frostigsten Nacht mit einem heißen Tee um sechs Uhr in völliger Dunkelheit. Vielleicht war es gut, dass wir noch müde waren und noch nicht sehen konnten, was uns an diesem Tag erwartete: Eine Tour von 25 km. Das Gehen selbst empfand ich jedoch als nicht so schlimm wie befürchtet. Das erste Highlight des dritten Tages war "Shiva Tsal", die Stelle an der man sein Ego abgibt, indem hier ein persönlicher Gegenstand abgelegt wird. Am "Dölma La", der den Sitz der "Grünen Tara" symbolisiert und mit 5.653 Meter den höchsten Punkt der Kora darstellt, wird man dann "wiedergeboren" - und das im wahrsten Sinne des Wortes: Wir hatten es geschafft und wurden durch einen wahrlich atemberaubender Anblick belohnt. Der ganze Platz war mit tausenden von Gebetsfahnen überzogen, die in der Sonne wunderschön in den fünf Buddhafarben leuchteten. überall glückliche Gesichter von Tibetern und Westlern, dazwischen Hunde, Pferde und Yaks. Unsere Gruppe war nicht mehr vollzählig. Nach dem ersten Tag unserer Kora musste eine Mitreisende nach einem Fieberanfall zurück ins Hotel nach Darchen gefahren werden. Nach dem zweiten Kora-Tag kehrte eine weitere, von Fieber geschwächt, um. Eine weise Entscheidung, wie sich später heraus stellen sollte, denn beim Anstieg zum "Dölma La" stürzte ein Mitreisender zweimal, weil er ohnmächtig geworden war. Zum Glück trug er außer ein paar Schürfwunden an Gesicht und Beinen keine Schäden davon und behielt auch seinen Humor. Hinter dem "Dölma La" begann gleich der Abstieg ins östliche Tal von Buddha Akshobya. Uns bot sich auch hier ein wunderschöner Blick auf "Tukje Chenpo Tso", der in einem klaren Smaragdgrün schimmerte und auch die "Grüne Tara" symbolisiert. Nach einem beschwerlichen Abstieg über Geröllfelder trafen wir Westler uns in einem Verpflegungszelt wieder, in dem wir mit heißem Tee versorgt wurden, während die Tibeter es vorzogen, draußen in der Kälte zu sitzen. Von hier aus sollte es dann nur noch eine Stunde bis zu unserem letzten Lagerplatz am Kailash sein, was sich aber als Irrtum herausstellen sollte. Ich hoffte ständig, dass wir es bald geschafft hätten und hinter der nächsten Bodenerhebung unsere Zelte auftauchen würden, diese Hoffnung wurde aber zunächst immer wieder enttäuscht, bis uns doch noch drei Guides mit unserem Pferd und einer Thermoskanne mit heißem Tee entgegen kamen. Angeblich waren ihnen die Yaks durchgegangen, so dass sie unser Lager erst etliche Kilometer hinter dem geplanten Lagerplatz aufbauen konnten. Die Nacht war wieder sehr kalt, aber nach den Anstrengungen des Tages fielen wir augenblicklich in einen tiefen Schlaf. Auf den letzten Kilometern unserer Kora tauten die Guides etwas auf, vielleicht weil sie sahen, dass diese Reise auch für uns eine tiefere Bedeutung hatte. Einer erzählte aus seinem Leben und dass die Tibeter immer noch ein sehr freiheitsliebendes Volk seien. Bei ihrem Aufstand 2008 ging es unter anderem auch nur darum, dass sie ihre Tradition ohne Unterdrückung leben wollten und deshalb nicht in die für sie vorgesehenen Hochhäuser ziehen, sondern in ihren einfachen einstöckigen Häusern wohnen bleiben wollten. Er erzählte, dass nach dem Bau der Peking-Lhasa Bahnstrecke die Lebenskosten so gestiegen seien, dass man sich kaum noch etwas leisten konnte. Die neu erbaute Straße zum Kailash wurde hauptsächlich für den Transport der Bodenschätze gebaut. Die zahlreichen parallel zur Straße gezogenen Zäune bedeuten auch gleichzeitig das Aus für die tibetische Nomadenkultur. Wenn Ansiedlungen im Weg sind, werden die Menschen einfach vertrieben. Die besseren Arbeitsplätze erhalten ausschließlich die Chinesen. Tibeter werden als Menschen zweiter Klasse angesehen und auch so behandelt. In der Schule wird bis zur vierten Klasse noch auf Tibetisch unterrichtet, danach nur noch auf Chinesisch, und um Arbeit zu bekommen, muss man Chinesisch können. Der Guide berichtete, dass viele einfache Tibeter leider nicht erkennen würden, wie wichtig Bildung für ihre Kinder sei. Abschließend betonte er, dass er nur hier in den Bergen so offen mit uns reden könne, weil er hier einigermaßen sicher sei, nicht bespitzelt zu werden. Aus diesen Gründen stellt sich bei mir bis heute noch keine Euphorie ein, die Kora um den Kailash bewältigt zu haben. Trotz rasender Kopfschmerzen, Atemnot und anderen Malaisen war es aber nicht die körperliche Anstrengung, die mir dabei hauptsächlich zu schaffen macht. Was ich nicht mehr aus meinem Kopf bekomme, sind die Bilder: Diese phantasielosen chinesischen Ortschaften, die in rasender Geschwindigkeit ins Land gelegten Asphaltstraßen auf Kosten der im Straßenbau arbeitenden Tibeter. Männer, Frauen und sogar Kinder müssen die Straßen bauen, die ihr Land zerstören, während ihre chinesischen Aufpasser rauchend daneben sitzen. Das schlimmste war das Wissen, dass die Lage in Tibet hoffnungslos ist. Der Segen der Buddhas war für mich nur an wenigen Stellen zu spüren, selbst am Kailash kaum. Symptomatisch für die Situation des Dharma in Westtibet war für mich der Zustand eines Nyingma-Klosters, das wir auf unserer Rückfahrt besichtigten. Es war total verfallen, Unkraut wucherte zwischen den Betonplatten, aber draußen warb ein riesiges Schild für das Kloster als "Zha Ding Temple - No.1 Spot of Gangdisi". An der Tür waren zwei neue glänzende Metalltafeln angebracht, die in chinesischer Schrift wahrscheinlich auf irgendwelche fortschrittliche Errungenschaften der Partei hinweisen sollten. Die angrenzende Stupa war mit Tierköpfen behängt und von zerbrochenen Mani-Steinen umringt. Eine Art Hausmeister schloss uns auf und ließ uns nur gegen Geld fotografieren. Der Mann hatte offensichtlich auch keinen spirituellen Bezug zu dieser Stelle. Er wusste nicht, wer Manjushri ist und kannte erst recht nicht dessen Mantra, das wir ihm - als Europäer einem Tibeter! - sagen mussten. Das schönste Bild dieser Pilgerreise entstand für mich aber schon auf der Hinfahrt zum Kailash: Die reine Freude auf dem Gesicht eines etwa zwölfjährigen tibetischen Jungen über eine geschenkte Liebevolle Augen-Karte von der Einweihung, die Gyalwa Karmapa 2009 in Tenovice gegeben hatte und die wir auf unserer Reise überall verteilt hatten. Vielleicht sind doch noch nicht alle Buddhas in den Westen gegangen... Artur Baussmerth 1955 geboren, seit 1995 Zuflucht bei Lama Ole, Technischer Angestellter an der FH Hannover, Studiengang Fotografie. |
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