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BUDDHISMUS HEUTE
Aus: Buddhismus Heute Nr. 45, (Sommer 2008)

Qantenphysik - Teil 1 : "Vollständigkeit"

Von Ralf Bohn

Physik in einer Zeitschrift über Buddhismus?
Das Thema "Buddhismus und Wissenschaft" stößt seit einigen Jahren auf immer mehr Interesse: In Buddhismus Heute gab es bereits mehrere Artikel von verschiedenen Autoren. Im Jahre 2007 erschien im Buddhistischen Verlag (Wuppertal) das Buch "Buddhismus und Wissenschaft: Form und Leerheit" mit Beiträgen verschiedener buddhistischer Lehrer und buddhistischer Physiker.
Wenn diese Ausgabe der Buddhismus Heute ausgeliefert wird, wird unmittelbar vorher an der Technischen Universität München ein "Symposium Buddhismus und Wissenschaft" mit Lama Ole Nydahl, Prof. Dr. Hans-Peter Dürr und Prof. Dr. Harald Weinfurter stattgefunden haben. Über dieses Symposium werden wir im nächsten Heft berichten.
Es sind vor allem die Themen aus der Quantenphysik, die oft auch Buddhisten faszinieren - obwohl nur wenige einen wirklich fundierten Einblick in diesen Bereich der Physik haben. Der nachfolgende Artikel von Ralph Bohn, in zwei Teilen, soll hier zum Verständnis beitragen.

Es gibt viele Versuche, die Quantenphysik dem Laien verständlich zu machen. Doch die Quantenmechanik ist verwirrend und unverständlich, weil sie unserer Anschauung widerspricht. Ihre völlige Unanschaulichkeit ist ein Hinweis darauf, dass sie keine vollständige Erklärung der Welt sein kann. Für viele Physiker ist dies ein Ansporn, an ihrer Weiterentwicklung zu arbeiten.

Anschaulichkeit
Die Physik beschäftigt sich mit den Gegenständen unserer sinnlichen Wahrnehmung und ihren Beziehungen untereinander. Es geht um Sachverhalte, die jeder mögliche Beobachter als Tatsache anerkennen kann. Die Erfahrung lehrt uns, dass es im Verhalten der Gegenstände und ihren Beziehungen untereinander wiederkehrende Muster gibt, die Naturgesetze. Mit ihnen können wir die Welt nicht nur beschreiben, sondern auch erklären und verstehen. Wenn wir für eine Sache den Grund angeben, oder wenn wir etwas Komplexes durch Einfacheres erklären, dann haben wir das Gefühl, dass wir etwas verstanden haben. So können wir das Geschehen der körperlichen Welt auf wenige fundamentale physikalische Eigenschaften und Naturgesetze zurückführen. Obwohl man diese nicht "sehen" kann, sind sie dennoch anschaulich, wie zum Beispiel Kraft und träge Masse. Ein Objekt oder Ereignis ist genau dann anschaulich, wenn es direkt beobachtet und erlebt werden kann oder sich analog verhält zu beobachtbaren Objekten oder erlebbaren Ereignissen. Jeder hat eine direkte Erfahrung vom größeren Kraftaufwand, der nötig ist, um einen Körper mit größerer Masse in Bewegung zu setzen. Die Naturgesetze beschreiben die wechselseitige Abhängigkeit dieser Grundeigenschaften und Ereignisse. Sie verweisen damit auf das abhängige Entstehen der Phänomene.

Analogien
Wir sind immer wieder mit dem Unbekannten konfrontiert. Ziel der Erklärung ist es, Unbekanntes auf Bekanntes zurückzuführen. Deshalb ist auch beim physikalischen Erklären und Verstehen der Analogieschluss von großer Bedeutung. Bei einer Analogie stimmen zwei unterschiedliche Dinge in wichtigen Merkmalen überein. Als Beispiel wähle ich das Licht, dessen Natur lange Zeit nicht verstanden wurde:

  • Analogie: Was sich mathematisch durch eine Wellengleichung beschreiben lässt, ist eine Welle.
  • Beobachtung: Verhalten von Licht wird durch eine mathematische Wellengleichung beschrieben.
  • Folgerung: Also ist Licht eine Welle.

Wir müssen uns aber darüber klar sein, dass wir diese Lichtwellen nicht direkt beobachten können, sondern nur Phänomene wie Helligkeit, Farben und Kontraste sehen. Da diese Lichttheorie aber mit einem Analogieschluss abgeleitet wurde, können wir zur Veranschaulichung sofort eine Wasserwelle heranziehen, die sich ebenfalls mathematisch mit einer Wellengleichung beschreiben lässt. Deshalb ist die Wellentheorie des Lichts anschaulich.

Beste Erklärung
Auch bei der Erklärung des Aufbaus der Materie war man gezwungen, zu nicht direkt beobachtbaren Dingen Zuflucht zu nehmen. An ihren Messapparaten, mit denen sie den inneren Aufbau der Materie untersuchten, lasen die Physiker unerklärbare Messergebnisse ab. Ziel einer guten Erklärung ist es, mit einer möglichst geringen Anzahl verschiedener Bausteine eine möglichst große Vielfalt verschiedener Phänomene zu erklären. Die Attraktivität des Atomismus mit seiner begrenzten Anzahl solcher Grundbausteine beruht darauf, dass er die Anforderung an eine gute Erklärung erfüllt. Man nennt dies den Schluss auf die beste Erklärung. Er funktioniert so:

  • Beobachtung: Es wurde immer wieder an Messapparaten die Beobachtung B gemacht.
  • Erklärung: Die Atomhypothese erklärt die Beobachtung B am besten.
  • Folgerung: Also gibt es Atome.

Wir müssen uns auch hier vergegenwärtigen, dass wir diese Mikroobjekte nicht mit eigenen Augen sehen. Ihre Existenz wird aus den Phänomenen erschlossen, die an Messapparaten wahrgenommen werden. Diese Apparate sind selbst keine Mikroobjekte, sondern Objekte unserer normalen makroskopischen Welt, mit denen wir Information gewinnen, so wie wir mit einem Tachometer Information über die Geschwindigkeit gewinnen.

Klassische Physik
Naturgesetze sind in der exakten Sprache der Mathematik formuliert. So lässt sich jedem Objekt eine spezielle mathematische Gleichung zuordnen, die alle physikalisch relevanten Informationen über dieses Objekt enthält. Ist diese Information zu einem bestimmten Zeitpunkt bekannt, so lässt sich für jeden anderen Zeitpunkt die entsprechende Information mit beliebiger Genauigkeit berechnen und damit der zukünftige Zustand des Objekts vorhersagen. Das individuelle Verhalten eines physikalischen Objekts unterliegt also nicht dem Zufall. Das nennt man Determinismus. (Lassen wir uns vom schlechten Ruf dieses Begriffs nicht erschrecken und denken ganz buddhistisch: Alles ist bedingt!) Es ist nun naheliegend anzunehmen, dass all das auch für die Mikroobjekte gilt und diese sich ebenso deterministisch verhalten wie die sichtbaren Körper unserer normalen Makrowelt. Die Vorhersagbarkeit wäre dann nur durch unsere begrenzte Verarbeitungsfähigkeit von Information oder unser subjektives Unwissen beschränkt. Das ist das Weltbild der klassischen Physik. Es ist anschaulich.
In der Physik geht es um Sachverhalte, die jeder mögliche Beobachter als Tatsache anerkennen kann. Sie interessiert sich für den Film, den alle Beobachter gemeinsam sehen und nicht für den subjektiven Privatfilm, der bei jedem noch als individuelle Projektion zusätzlich abläuft. Dieser physikalische Beobachter ist also kein individueller Beobachter, sondern ein sehr abstrakter. Die klassische Physik glaubt an einen Film, der vom Beobachter klar und deutlich, vollständig und ohne Löcher in der Leinwand wahrgenommen werden kann. Der Beobachter ist reiner Spiegel. Bewusstheit. Es geht, salopp gesagt, um die Beschreibung des "Wahrheitskörpers" in physikalischen Begriffen. Man glaubte Ende des 19. Jahrhunderts, dass das Projekt der physikalischen Welterklärung bald abgeschlossen sein werde. Aber es kam anders.

Quantenphysik
Es lag wie erwähnt nahe, die mathematischen Gleichungen der klassischen Physik, die für die normalen Makroobjekte gelten, ganz analog auch auf die Mikroobjekte anzuwenden, die man zur Erklärung des Materieaufbaus postuliert hatte. Aber man stellte enttäuscht fest: Es funktioniert nicht. Wenn sich Mikroteilchen aber nicht den klassischen mathematischen Gleichungen zuordnen lassen, dann gibt es vielleicht andere, neu zu findende Gleichungen, die speziell auf die "Bedürfnisse" der Mikroteilchen zugeschnitten sind. Es gibt sie! Auch für sie gilt wieder das schöne Prinzip der klassischen Physik, dass sie beobachterunabhängig sind. Die Welt im Spiegel des Bewusstseins. Aber die Sache hat einen Haken. Das Bild, das diese mathematischen Gleichungen uns von der physikalischen Wirklichkeit liefern, ist unscharf.
Wenn die Eigenschaft eines Mikroobjekts mit einem Messapparat gemessen wird, dann wird an diesem Messapparat ein scharfer, konkreter Wert dieser Eigenschaft (zum Beispiel die Geschwindigkeit) mit beliebig großer Genauigkeit gemessen. Der Messapparat ist ja ein Objekt der klassischen Physik, in der man Messungen mit beliebig großer Genauigkeit durchführen kann. Das Problem liegt in der Vorhersagekraft dieser neuen mathematischen Gleichungen im Vergleich zu den alten Gleichungen der klassischen Physik. Wenn wir nämlich das Verhalten des Mikroobjekts mit den Gleichungen der Quantenphysik vorhersagen wollen, indem wir den Wert der Eigenschaft ausrechnen, die gemessen werden soll, dann erhalten wir keinen scharfen Wert. Diese Gleichungen sagen nämlich nur die Wahrscheinlichkeit voraus, mit der der Wert einer Eigenschaft am Messapparat gemessen werden wird. Das einzelne Teilchen verhält sich also nicht deterministisch. Mit anderen Worten: Es verhält sich zufällig. Es nimmt den Wert W nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit an. Vielleicht aber auch X, Y oder Z. Ist dieser Zufall nur scheinbar oder wirklich?
Die klassische Physik sagt: Die Objekte der äußeren Wirklichkeit sind gestochen scharf und klar, und wir können sie durch unsere deterministischen mathematischen Gleichungen eindeutig und beliebig scharf abbilden. Der klassische "Filmprojektor" ist scharf gestellt und der Film ist scharf. Dagegen gilt in der Quantenphysik: Das Bild, das die mathematischen Gleichungen von den Mikroobjekten machen, ist unscharf und nicht-deterministisch. Daraus könnte man schlussfolgern, dass diese Unschärfe an den Mikroobjekten selbst liegt. Dann ist die Wirklichkeit unscharf. Der Projektor ist dann zwar scharf gestellt, aber der Film ist unscharf. Dann ähnelte der Raum nicht einem Diamanten, sondern Milchglas. Doch diese Schlussfolgerung ist nicht zwingend. Jeder, der mit einem Fotoapparat schon einmal ein unscharfes Bild gemacht hat, weiß das.

Die große Frage
Ist nun das Bild, das uns die Quantenphysik von der Wirklichkeit gibt, unscharf, weil die Wirklichkeit selbst unscharf ist, oder ist die Wirklichkeit von den mathematischen Gleichungen der Quantenmechanik nur unscharf abgebildet, obwohl sie eigentlich scharf und klar ist? Es gibt Physiker die sagen: Was uns die Quantenmechanik über die Mikroobjekte sagt, ist alles, was wir über sie wissen können, weil sie bereits die vollständige Information über die physikalische Welt enthält. Das hieße, die Wirklichkeit ist unscharf. Andere widersprechen dieser Behauptung. Unstrittig ist, dass der mathematische Apparat der Quantenphysik nur Wahrscheinlichkeiten liefern kann. Die große Frage ist deshalb: Ist die Quantenmechanik vollständig oder nicht?

Darauf gibt es zwei mögliche Antworten:

  1. Die Quantenphysik ist vollständig. Die mathematischen Gleichungen, die das Verhalten von Mikroteilchen beschreiben, enthalten alle Informationen, die es über die Mikroobjekte überhaupt gibt und bilden diese so scharf ab, wie es überhaupt möglich ist. Die Wirklichkeit ist also unscharf.
  2. Die Quantenmechanik ist unvollständig. Es gibt Informationen über das Verhalten der Mikroobjekte, die in den mathematischen Gleichungen nicht enthalten sind. Schärfere Bilder der möglicherweise vollkommen klaren Wirklichkeit sind dann vielleicht möglich.

Wenn die Quantenphysik also unvollständig ist, stellt sich die Frage: Ist sie zu vervollständigen, und wenn ja, wie? Im Folgenden untersuche ich nur den ersten Fall. Im nächsten Buddhismus Heute den spannenden zweiten Fall.

Zufall
Was folgt aus der Behauptung, die Quantenphysik sei vollständig? Wenn die mathematischen Gleichungen der Quantenmechanik alle Informationen vollständig enthalten, die über ein einzelnes Mikroteilchen zu wissen sind, dann gibt es für sein Verhalten keine kausalen Ursachen. Dann verhält es sich nicht nur scheinbar zufällig, sondern "wirklich" zufällig. Zufall ist nicht gleich Zufall. Der quantenmechanische Zufall besitzt nämlich keine Analogie zu jenem Zufall, den wir aus unserer normalen Alltagswelt kennen. Der uns geläufige Zufall ist ein subjektiver Zufall. Unser Alltagsdenken funktioniert hier wie die klassische Physik. Wir glauben, dass alles verursacht ist. Erinnern wir uns an die instinktive Redeweise "Es gibt keinen Zufall", wenn wir Zeuge einer seltsamen Übereinstimmung von Ereignissen wurden. Für den Philosophen Immanuel Kant ist Kausalität sogar eine Bedingung dafür, dass Erkenntnis überhaupt möglich ist. Wenn wir also im Alltag von Zufall sprechen, dann drücken wir damit nur unsere Unwissenheit aus, da wir die Gründe und Ursachen für die Phänomene und Ereignisse nicht vollständig kennen.
Beim quantenmechanischen Zufall handelt es sich aber nicht um ein Unwissen, dem ein potenzielles Wissen gegenübersteht. Es gibt beim quantenmechanischen Zufall kein mögliches Wissen von den kausalen Faktoren, weil es ganz einfach keine kausalen Faktoren für das Verhalten der Mikroobjekte gibt. Denn wenn es solche kausalen Faktoren gäbe, dann wären sie auch Inhalt eines möglichen Wissens. Wenn es aber keine Ursachen für das Verhalten der Mikroteilchen gibt, dann haben wir eine Erklärungslücke, weil wir jetzt die Abwesenheit dieser kausalen Faktoren begründen müssen. Wir müssen fragen: Was ist eigentlich der Grund dafür, dass es keine kausalen Faktoren für das Verhalten der Mikroteilchen gibt? "Der Zufall", antworten dann die meisten Physiker. Der Zufall, der aber nicht durch unser Unwissen bedingt ist, heißt objektiver Zufall. Wenn die Mikrowelt durch den Zufall regiert wird und unsere normale Welt aus den Mikroobjekten zusammengesetzt ist, dann regiert der Zufall auch uns.

Interpretation
Doch muss man überhaupt Mikroobjekte als real annehmen? Man glaubt doch nur aufgrund des Schlusses auf die beste Erklärung, dass es sie gibt. Vielleicht ist aber die These der Existenz von Mikroobjekten nicht die beste Erklärung. Am Anfang der Quantenphysik steht ja nicht eine bestimmte Interpretation, sondern nur ein mathematischer Apparat, mit dem man experimentelle Beobachtungen beschreiben und vorhersagen kann. Nichts zwingt uns, von real existierenden Mikroobjekten zu sprechen, indem wir die Atomhypothese wörtlich nehmen. Auf seine Gedanken, Gefühle und Wünsche mit dem Wort "ich" Bezug zu nehmen, verpflichtet nicht dazu, an die Existenz eines Ichs zu glauben. Die Quantenmechanik zu akzeptieren, verpflichtet nicht dazu, an die Existenz von Mikroobjekten zu glauben. Wenn wir sagen "Es gibt keine Mikroobjekte", kann keine empirische Beobachtung und keine Schlussfolgerung aus dem mathematischen Formalismus der Quantenmechanik diese These widerlegen. Diese Konsequenz hören Buddhisten gerne. Die Quantenphysik ermöglicht eine anti-realistische Interpretation, ohne allerdings eine realistische Interpretation auszuschließen.
Die anti-realistische Interpretation sagt: Die Rede von Mikroteilchen ist nur eine Redeweise, eine Art Kurzschrift für die Beschreibung vielfältiger Messergebnisse und Wechselwirkungen, so wie ich das Wort "Berlin" als Kurzschrift für all die Menschen und Dinge auffassen kann, die es an einem bestimmten Ort in Deutschland gibt. Der Anti-Realismus ist also durchaus anschaulich.

Das herrschende Dogma
Die Quantenphysik ist zunächst nur ein mathematischer Apparat und keine Interpretation. Eine philosophische Interpretation kann nur unter Zuhilfenahme von Zusatzannahmen aus ihr abgeleitet werden. Die Zusatzannahme, die wir gerade untersuchen, war die Annahme ihrer Vollständigkeit. Eine Interpretation, die nach ihrem Entstehungsort auch die "Kopenhagener Deutung" genannt wird, verwendet den Anti-Realismus und die Hypothese der Vollständigkeit als Zusatzannahmen. Doch sie wendet den Anti-Realismus nur halbherzig an. Sie sagt: Es gibt nur makrophysikalische Objekte (z.B. Messapparate) und Wechselwirkungen zwischen Messapparaten und Mikroobjekten. Letztere gibt es nicht als Elemente der Realität, sondern nur als eine Redeweise. Die Kopenhagener Deutung wendet den Anti-Realismus nur auf Mikroobjekte an und nicht auch auf die alltägliche Welt der Makroobjekte und geistigen Dinge, wie es der Buddhismus tut, wenn er Realität hinsichtlich ihrer Leerheit untersucht. Dann sind die Mikroobjekte als Elemente der Realität zwar verschwunden, es ist aber noch eine Realität geblieben, nämlich "die" Realität. Das ist unsere gewohnte, alltägliche Wirklichkeit. Wo endet nun diese Realität? Ab welcher Größe von Objekten beginnt die bloß realistische Redeweise? Wo beginnt also die Mikrowelt, in der die merkwürdigen Gesetze der Quantenmechanik gelten? Niemand konnte diese Frage bis heute beantworten.
Die Quantenphysik ist in dieser Deutung ein mathematischer Apparat, der von den Physikern im Sinne eines technischen Know-hows erfolgreich angewendet wird. Aber er wird deshalb nicht auch schon verstanden. Niemand weiß, warum der Formalismus der Quantenphysik so ist, wie er ist. Ich kann etwas in der Praxis anwenden, ohne es verstanden zu haben. Ich kann japanische Lautsprache nachsprechen, ohne den Sinn der Geräusche zu verstehen. Aufgrund der Vollständigkeitshypothese wird der Weg hin zu einem tieferen Verständnis versperrt.

Zufall als Weltgrund
Wenn man die Quantenphysik für vollständig hält, dann ist man - wie wir gesehen haben - gezwungen, einen objektiven Zufall als Element der Realität anzunehmen. Bei realistischer Interpretation der Mikroobjekte ist zufälliges Verhalten dann eine Eigenschaft der einzelnen Mikroobjekte. Bei anti-realistischer Interpretation kann der objektive Zufall keine Eigenschaft von Mikroobjekten mehr sein, da man deren Existenz leugnet. Zufall ist dann der letzte angebbare Grund für das Verhalten der Messapparate in unserer normalen Realität. Der objektive Zufall ist darum selbst ein Element der Realität. Und da auch unsere Körpersinne Messapparate sind, ist damit der Zufall der letzte Grund der wahrgenommenen Welt, in der wir zu Hause sind. Dieser Zufall ist nicht selbst durch etwas bedingt. Er führt eine Eigenexistenz. Er ist dann das Unbedingte.
Die Kopenhagener Deutung enthält ein für Buddhisten sehr verführerisches Element: den Anti-Realismus. Deshalb wird sie gerne von Buddhisten vertreten. Wenn wir diese Deutung akzeptieren, müssen wir aber die Realität des objektiven Zufalls anerkennen, für den die Vollständigkeitshypothese verantwortlich ist. Gibt es dann überhaupt noch einen Platz für das karmische Prinzip? Uns muss also die Frage brennend interessieren: Besteht die Möglichkeit einer Vervollständigung der Quantenmechanik? Es gibt Theorien, die diesen Versuch machen. Es gibt aber auch Überlegungen, dass sich beweisen lässt, dass die Quantenphysik nicht zu vervollständigen ist. Die Beantwortung dieser Frage führt uns zu den "verschränkten Teilchen", dem Thema des nächsten Artikels.

Im nächsten Heft: Teil 2 - "Verschränkungen"


Ralph Bohn, seit 1990 Schüler von Lama Ole Nydahl, Autor und Regisseur, studierte Philosophie, Mathematik und Physik, lebt in Berlin.

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