Aus: Buddhismus Heute Nr. 45, (Sommer 2008)

Hannahs Todestag 2008 in Bhutan

Von Detlev Göbel

1. April 2008, der erste Jahrestag des Todes von Hannah Nydahl. In über 500 Diamantweg-Buddhismus-Zentren rund um die Welt gedenken Buddhisten heute des Verlustes ihrer geliebten Lehrerin. Viele praktizieren eine einfache Form der Meditation auf die "Weiße Befreierin", die von Lama Ole Nydahl gegeben wurde. Er erzählt während eines Live-Streamings vom Europa-Zentrum in Süddeutschland, dass die "Weiße Befreierin" Hannahs bevorzugter Meditationsaspekt war.

Claudia und ich sind an diesem Tag im Retreat im Paro-Tal in Bhutan. Wir haben soeben eine 40-köpfigen Pilgergruppe neun Tage lang durch Bhutan geleitet und all die großen heiligen Stellen des einzigen Diamantweg-Landes der Welt gesehen. 1987 und später in 2003 war ich schon mit Lama Ole und Hannah hier gewesen, und Bhutan ist für mich untrennbar von ihnen. An vielen Stellen kommen hier die Erinnerungen wieder hoch, wie es damals hier mit Hannah war. Eine Teilnehmerin aus der Pilgergruppe hatte zuvor noch Hannah zitiert mit der Aussage: "Man sollte einmal im Leben in Bodhgaya und in Bhutan gewesen sein". Nicht für jeden machbar bei den Reisepreisen für Bhutan, aber es zeigt, für wie wichtig Hannah Bhutan erachtet hat.

Am 1. April 2008 bringen wir in Kichu Lhakang im Paro-Tal 108 Butterlampen und eine Puja für Hannah dar. Dies ist in Asien die traditionelle Weise, Verstorbener zu gedenken - und als Gäste hier folgen wir dieser Tradition.

Kichu Lhakang ist eine der heiligsten und ältesten buddhistischen Stellen des ganzen Himalaya. Schon im 7. Jahrhundert baute der tibetische König Songtsen Gampo 108 Tempel an nach geomantischen Kriterien ausgesuchten Stellen im Himalaya. Ihm war gesagt worden, dass eine große Dämonin über dem ganzen Gebiet läge und man müsse sie mit diesen Tempeln bändigen. Der Jokhang in Lhasa nagelte das Herz der Dämonin fest, und Kichu Lhakang hier in Bhutan einen Fuß der Dämonin. Diese Stelle wurde im letzten Jahrhundert der bevorzugte Retreatplatz des großen Nyingma-Meisters Dilgo Khyentse Rinpoche. Im gleichen Zimmer wie Dilgo Khyentse Rinpoche machte auch der 16. Karmapa in den 60er Jahren Retreat.

Wir haben das große Glück, die nötigen Special Permits zu bekommen, um in Kichu und sogar in diesem Zimmer praktizieren zu können. Nach zuerst ruhigen Retreat-Tagen fängt am 1. April in Kichu ein so genanntes "Vajra Guru Dung Drub" an. Die Bevölkerung aus der Gegend kommt zusammen und rezitiert ein paar Tage lang Guru-Rinpoche-Mantras, begleitet von Pujas der Mönche aus dem Paro Dzong.

Früh an diesem Morgen entzünden wir in Gedenken an Hannah wie erwähnt 108 Butterlampen und lassen ihr zu Ehren eine Puja abhalten. Diese wird von dem obersten Rinpoche des ganzen Paro-Tals geleitet, dem Paro Lam Neten. Ein beeindruckender Mann - stark und wach und entspannt. Er lässt sich vorher ein Bild von Hannah geben und von uns erzählen, wer sie war. Traditionell wird am ersten Todestag für jeden - ob "gewöhnlicher" Mensch oder verwirklichter Meister - eine Puja gemacht, bei der der Geist des Verstorbenen herbeigerufen und dann in die Reinen Länder geschickt wird. Die Verwirklichten brauchen das natürlich nicht, aber man tut es trotzdem, um sie zu ehren.

Mit dieser Puja beginnt dann die mehrtägige Veranstaltung in Kichu. Ob die vielen vor allem alten Bhutanesen, die hier zusammenkommen, ahnen, dass diese Puja für eine hochverwirklichte Meisterin aus dem Westen abgehalten wird? In Bhutan ist Hannah, im Gegensatz zu Nepal, kaum bekannt. Noch weniger ahnen dürften es wohl die drei Touristen, die zufällig gerade hereinkommen und ein paar Minuten bei der einstündigen Puja teilnehmen. Es ergibt sich leider keine Gelegenheit, ihnen zu erzählen, dass dieses für sie so exotische Ritual für eine verwirklichte Dänin ausgeführt wird.

Am nächsten Tag sind wir früh morgens oben auf dem berühmten Taktsang. Das "Tigernest" ist eine der heiligsten buddhistischen Stellen überhaupt, gesegnet durch Besuche und Praxis von allen großen Meistern, die in Bhutan waren. Milarepa, Machig Labdrön, frühere Karmapas und Shamarpas - jeder war einmal hier. Die Legende zum Ursprung dieser spektakulären Stelle besagt, dass Guru Rinpoche im 8. Jahrhundert auf dem Rücken einer Tigerin hinauf flog. Die Tigerin war tatsächlich seine Gefährtin Yeshe Tsogyal, und die beiden praktizierten hier oben drei Monate lang auf Dorje Phurba.

Das Oberhaupt von Taktsang lädt uns abends zum Tee ein. Er freut sich sehr, dass Westler hier meditieren wollen und sagt, sie seien ein gutes Beispiel für die Bhutanesen. Die kommen nur kurz in die heiligen Räume rein, verbeugen sich, legen etwas Geld und einen Katak hin und sind schon wieder weg. Ähnliches hört man immer wieder in Bhutan: Alles ist da - große Meister, die Texte, die Übertragungen, die Infrastruktur von Klöstern und Retreatstellen - aber die jungen Leute interessiert der Dharma immer weniger. Von Jahr zu Jahr ist zu beobachten, dass Bhutan immer weltlicher wird, das Reine Land bröckelt. Wer noch das Besondere erleben will, was Bhutan ausmacht, sollte sich nicht zu viel Zeit lassen. Auch diesen Rat gab Hannah Nydahl einigen Schülern.


Dieser kleine Bericht wurde auf Bitte von Lama Ole Nydahl geschrieben, nachdem er von diesen Erlebnissen erfahren hatte. Detlev Göbel

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