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BUDDHISMUS HEUTE
Aus: Buddhismus Heute Nr. 45, (Sommer 2008)

Buddhistische Pilgerreisen

Von Detlev Göbel

Als wir zu Beginn unserer Bhutan-Pilgerreise im Frühjahr 2008 den 17. Karmapa Thaye Dorje fragten, was bei einer Pilgerreise wichtig sei, betonte er die "Hingabe". Diese sei das Allerwichtigste bei einer Pilgerreise. Man solle sich an die großen Meister erinnern, die an den heiligen Stellen meditiert haben und daran denken, was sie alles mit ihrem Geist erreicht haben. Zugleich soll man verstehen, dass man auch das Potenzial dafür in sich hat, und dass die Hingabe der Schlüssel dazu ist, das schnell zu entdecken. Der Besuch der heiligen Stellen könne diese Hingabe erzeugen und stabilisieren. Professor Sempa Dorje, der derzeitige Hauptlehrer des 17. Karmapa, betonte später, dass auch Information wichtig sei, also zu verstehen, was es mit den heiligen Stellen auf sich hat, was dort zuvor geschehen ist, wer dort meditiert hat, usw. Dieser Artikel soll einen kleinen Einblick in das Thema "buddhistische Pilgerreisen" vermitteln.

"Obwohl die Wahrheits-Natur wie der Raum alles durchdringt, können Stellen und Dinge Kraftfelder halten, die die Bewusstseinsebene der Wesen verändern können. Da Buddhas einziges Ziel war die Illusionen der Wesen zu entfernen, sind all die Stellen die er mit seiner erleuchteten Weisheit segnete überaus kraftvoll."
Lama Ole Nydahl

Menschen aller Religionen spüren die Kraft besonderer Plätze auf der Welt. Es gibt Stellen, die einfach anders sind. Sie inspirieren und erleichtern es, die emotionalen Verstrickungen des Alltags abzuschütteln und sich auf das auszurichten, was einem wirklich wichtig ist. An solchen Orten hat man das Gefühl, Hilfe zu bekommen, um den eigenen geistigen Weg leichter gehen zu können. So hat sich in allen Religionen die Pilgerschaft zu solchen Stellen als eine spirituelle Praxis entwickelt.

Auch Buddha Shakyamuni empfahl seinen Anhängern im kurz vor seinem Tod gelehrten Parinirvana-Sutra der Theravada-Tradition das Pilgern.

Als Pilgerorte nannte er vier Stellen, die mit Ereignissen in seinem Leben zusammenhingen - Lumbini im heutigen Nepal, sowie Bodhgaya, Sarnath und Kusinagara in Indien. Diese Vier sind die Orte von Buddhas Geburt, seiner Erleuchtung, dem ersten Lehren, und seinem Tod. Buddha sagte im gleichen Sutra, dass jeder, der auf einer Pilgerreise zu diesen Stellen stirbt, nach dem Tod in einen himmlischen Bereich gehen wird. Er empfahl auch noch weitere vier Stellen, an denen er besondere Wunder vollbracht hatte.

Insbesondere später im tibetischen Buddhismus waren Pilgerreisen eine sehr beliebte und verbreitete Praxis. Jeder Tibeter träumte davon, wenigstens einmal im Leben die heilige Stadt Lhasa oder den Berg Kailash zu besuchen. Überall in Tibet gab es weitere heilige Stellen, zu denen die Menschen reisten, um dort zu meditieren. Bis in die heutige Zeit sieht man selbst im fernen Kham Menschen aller Altersgruppen, die sich aufmachen, den Weg nach Lhasa sogar per Verbeugungen zurückzulegen. Hier wird tatsächlich noch das mittlerweile etwas abgedroschene Zitat "Der Weg ist das Ziel" gelebt, denn wie man zur heiligen Stelle kommt, wird als fast wichtiger angesehen als dass man dort hinkommt. Die Anstrengungen und Beschwerden dieser vielmonatigen Reise bringen den Praktizierenden eine riesige Menge an guten Eindrücken im Geist und reinigen Mengen von schlechtem Karma.

An der heiligen Stelle - sei es ein Tempel, ein Stupa, eine Höhle, ein Berg, ein See, ein besonderes Haus, vielleicht ein auf den ersten Blick gewöhnlicher Platz in der Landschaft - benutzt man deren Kraft als Katalysator für die eigene Entwicklung. Alles, was man an so einer Stelle mit Körper, Rede und Geist tut, wird durch die besondere Kraft dieses Ortes millionenfach verstärkt. Wie in einem Brennglas bündelt und konzentriert die Kraft der Stelle die Eindrücke, die unsere Handlungen im Geist hinterlassen. Man genießt einerseits die Kraft und den Segen der Stellen und nutzt sie zugleich aktiv für die Arbeit mit dem eigenen Geist. Allein die Anwesenheit und erst recht alles, was man an dieser Stelle tut, hat besondere Bedeutung und hinterlässt tiefere Eindrücke im Geist. Guru Rinpoche sagte einmal, dass nur ein Tag Meditation an einer solchen Stelle einen näher zur Erleuchtung bringt als ein Jahr Meditation an einem gewöhnlichen Platz.

Was sind das für Stellen, die eine solche Wirkung auf uns haben können?

Die Vorstellung eines Unterschiedes zwischen "normalen" Plätzen und "heiligen" Plätzen betrifft eigentlich nur unsere relative Erfahrungswelt. Für jemanden, der die absolute Wirklichkeit wahrnimmt, also einen Erleuchteten, gibt es diese Trennung nicht. Er erlebt die ganze Welt als ein Reines Land, in dem alles "heil", also heilig, ist. Aber wir, die wir immer noch in Mögen und Nicht-Mögen, Begriffe von Gut und Schlecht, Schön und Unschön verwickelt sind, erleben deutlich Unterschiede in der Welt. Die allem innewohnende Reinheit und Perfektion erahnen wir eher zum Beispiel an einem schönen Stupa in den Bergen als in einem Großstadtghetto.

Das tibetische Wort für eine solche Kraftstelle ist ne und Pilgern heißt ne-khor wobei khor Kreis bedeutet. Das Wort ne-khor deutet auf die traditionelle Praxis des Umschreitens von heiligen Stellen hin, wie wir es ja von Stupas kennen. Dieses Umschreiten nennen die Tibeter auch "Khora".

Manche Lamas sprechen von verschiedenen Arten solcher heiliger Stellen, von "Selbstentstandenen Kraftstellen" (tib.: rangjung neh) und "Segens-Kraftstellen" (tib.: dschinlab neh).

Selbstentstandene Kraftstellen
sind Orte, die aus sich heraus eine besondere geomantische Kraft haben, die oft von vielen Leuten, auch Nicht-Buddhisten, gespürt wird. Das ist unabhängig davon, was an solchen Stellen geschehen ist. Der Berg Kailash in West-Tibet wird zum Beispiel sowohl von Hindus als auch von Buddhisten als heilig verehrt.

Mythologisch klingende Erklärungen dazu liefern die Tantras. So wird in einem Tantra von "Buddha Höchste Freude" (skt.: Chakrasamvara, tib.: Khorlo Demchog) erklärt: Vor langer Zeit stand das Universum einmal unter der Herrschaft eines sehr negativen Wesens. An besonderen Stellen auf der Welt lebte seine Gefolgschaft, bestehend aus Göttern, Ghandarvas, Geistern, Dämonen, Nagas, Asuras usw. Um diese negative Herrschaft zu beenden, nahm Buddha "Diamanthalter" (skt.: Vajradhara, tib.: Dorje Chang) die Form von "Buddha Höchste Freude" an, und unterwarf all diese Wesen. All ihre Wohnstätten wurden gesegnet und zu Kraftstellen von Dakas und Dakinis aus dem Mandala von "Höchste Freude".

Die Tantras sprechen in diesem Zusammenhang auch von den Entsprechungen des "Äußeren", "Inneren" und "Geheimen" (oder "Anderem", wie es im Kalachakra-Tantra genannt wird). Bestimmte Orte, Berge, Flüsse, Seen, Planeten, usw. in der Welt korrespondieren mit bestimmten Energiekanälen, Energien und Energiekonzentrationspunkten (tib.: Tsa, Lung und Thigle) in unserem feinstofflichen Körper, und beide haben wiederum eine Entsprechung zu bestimmten Buddhas. So gibt es beispielsweise in Indien 24 bestimmte Kraftstellen von Dakas und Dakinis, die mit 24 Energiekanälen und Energien im Körper korrespondieren. Da der Geist die gemeinsame Wurzel für alles Erlebbare ist - seien es äußere Phänomene, innere feinstoffliche Phänomene oder erleuchtete Kraftfelder - ist es verständlich, dass alles miteinander zusammenhängt.1

Ohne Verwirklichung sieht man an solchen Stellen zum Beispiel einfach nur gewöhnliche Berge. Aber ein Erleuchteter sieht diese Berge als die Wohnstätte erleuchteter Energien. So hat der 16. Karmapa Lama Ole und Hannah Nydahl einmal die ganze Bergkette des Himalaya, die man vom Kloster Rumtek aus sieht, als die Wohnstätten der verschiedenen Buddhas erklärt - und er hat sie offensichtlich tatsächlich so gesehen.

Es gibt sogar ganze Gegenden, die mit bestimmten Buddhas zusammenhängen. Dort "liegt" sozusagen der Buddha-Aspekt in der Landschaft und alle Merkmale der Landschaft korrespondieren mit bestimmten Teilen seines Körpers. Das berühmteste Beispiel dafür ist das Beyül Pemakö im Grenzgebiet von Süd-Kham und dem indischen Bundesstaat Arunachal Pradesh, in dem sich "Rote Weisheit" manifestiert. All die Berge, Flüsse, Seen, usw. dort stehen in Zusammenhang mit der Form von Rote Weisheit.

"Segens-Kraftstellen"
hingegen wurden dadurch zu besonderen Plätzen, dass dort besondere Dinge geschehen sind. Oft haben dort große Meister praktiziert oder besondere Wunder gezeigt. In Indien sind das die Stellen, die zum Beispiel mit Ereignissen in Buddhas Leben zusammenhängen, wie etwa seine Geburtsstelle, die Stelle, an der er Erleuchtung erlangte, die Stelle, an der er starb, usw. Im Himalaya wurden diese Plätze gesegnet von Meistern wie Milarepa, Guru Rinpoche, den Karmapas, usw. In den darauffolgenden Jahrhunderten sind weitere große Meister zu diesen Stellen gegangen und haben dort praktiziert, so dass diese Pilgerstellen immer mehr gesegnet wurden.

Solche Stellen sind zum Beispiel auch die Beyüls. Guru Rinpoche hat 108 bestimmte Gegenden besonders gesegnet und gesagt, dass sie in späteren dunklen Zeiten den Praktizierenden als Zufluchtsorte dienen werden. Auf unseren Pilgerreisen in Bhutan haben viele Freunde die Kraft solcher Stellen oft in der Nacht bemerkt, bevor wir das Beyül Bumthang in Bhutan betraten, in Form von besonderen Träume und starken Erlebnissen. Obwohl Beyüls nicht wirklich Reine Länder sind, ist die allem innewohnende Reinheit hier leichter zu erfahren. Alles, was hier mit einem geschieht, hat besondere Bedeutung und alles, was man tut, ist kraftvoller. Pemakö, im Gebiet wo der Tsangpo aus Tibet nach Indien eintritt und später zum Brahmaputra wird, gilt als das hervorragendste dieser "Geheimen Länder". Andere bekannte Beyüls sind Yolmo, Rolwaling und Khenpalung in Nepal. Auch Demajong im heutigen Sikkim gilt als ein solches Beyül.

 

Das Wichtigste, was man an diesen Stellen tun kann, ist, starke Wünsche zu machen. Dies ist eine Art der Praxis, auf Tibetisch mönlam genannt, wörtlich: "Weg der Wünsche". Es ist auch eine der zehn befreienden Handlungen, die die Bodhisattvas auf der 8. Stufe zur Perfektion entwickeln.

Jedes Mal, wenn man einen Wunsch macht, pflanzt man einen Samen in den Geist, man setzt eine innere Energie in Gang. Wenn dann die richtigen Bedingungen zusammenkommen, wird sich der Wunsch erfüllen. Wie schnell und in welchem Maße das geschieht, ist von vielen Aspekten abhängig, unter anderem von den Bedingungen, unter denen diese Wünsche gemacht wurden. Wünsche in Gegenwart großer Lehrer und an heiligen Stellen haben mehr Kraft und werden dadurch schneller und stärker in Erfüllung gehen.

Aber Wünsche können auch gefährlich sein, solange wir noch unter dem Eindruck der Ego-Illusion stehen. Solange wir noch mehr mit unserem eigenen Wohlergehen statt dem Wohl aller Wesen beschäftigt sind, sollten wir mit Wünschen vorsichtig umgehen und sie nicht zu persönlich machen. Sehr persönliche Wünsche nach weltlichen Dingen können in einer Weise wahr werden, die einen dann gar nicht so froh sein lässt, wie man es sich erhofft hat. Die Empfehlung aller Lehrer ist, dass man vor allem immer wieder den Wunsch macht, dass alle Wesen schnell Erleuchtung erlangen und dass man fähig wird, die Wesen dahinzuführen. Alle Wünsche in diesem Kontext sind sehr sinnvoll und bringen gute Resultate. Das eigene Glück ist dann sowieso darin enthalten.

Wenn man heilige Stellen in Asien besucht, macht man zudem auch den Wunsch, den besonderen Segen dieser Stellen in den Westen mitzubringen und ihn dort in die Dharma-Arbeit einfließen zu lassen. Der 17. Karmapa sagte uns einmal nach einer Bhutan-Reise, als wir ihn in Kalimpong besuchten, ganz direkt: "Bringt den Segen Bhutans jetzt in den Westen." Es ist absehbar, dass wir westliche Buddhisten in Zukunft den traditionell-buddhistischen Ländern etwas werden geben können. Unsere moderne, frische und selbstständige Weise den Buddhismus zu leben, wird bestimmt bald junge Leute in Asien ansprechen. Aber wer jemals vor den riesigen Statuen in den Tempeln Bhutans stand oder in kleinen Milarepa-Höhlen im Himalaya saß, der weiß, dass es dort etwas gibt, das sich bei uns erst noch entwickeln wird. Nicht jeder kann und will diese Reisen machen. Aber je mehr westliche Buddhisten es getan haben und dadurch ein Gespür für die Wurzeln unserer Praxis entwickelt haben, umso mehr wird das uns allen hier in den Zentren zu Gute kommen. Es wird unserer Arbeit mehr Tiefe, Qualität und Kraft bringen.

Den Segen an den heiligen Stellen in Asien in sich aufzunehmen kann man durch eine kleine Meditation verstärken: Man kann sich vorstellen, dass der Segen in das eigene Herz strömt und dort verweilt. Der jeweilige Lama, Yidam oder Schützer vor dessen Statue oder Thangka man steht, strömt dann in ganz vielen kleinen Formen in uns hinein. Wenn man vor den Altären steht, strömen die kleinen Formen entweder direkt von diesen Objekten in unsere Brust und in das Herz-Zentrum. Oder wenn wir den Kopf beugen und die Objekte mit dem Scheitel berühren, dann den Kopf runter ins Herzzentrum.

Wie viel Nutzen wir vom Besuch einer solchen Stelle haben, wie viel Segen wir also dort bekommen, ist eine Frage von "Ring und Haken". Einerseits hat die Stelle eine besondere Kraft - ob man es spürt oder nicht, ob man Vertrauen dazu hat oder nicht. Andererseits kommt vielleicht nicht so viel von dieser Kraft bei jemandem an, der das alles für Unsinn hält. Letztendlich sind die Offenheit und das Vertrauen das Entscheidende. Es gibt Leute, die nur aufgrund ihrer starken Hingabe von gewöhnlichen Leuten, von gewöhnlichen Dingen und an gewöhnlichen Stellen starken Segen bekommen haben. Andere Leute waren ganz nah bei erleuchteten Lehrern und an den heiligsten Stellen und bekamen gar keinen Segen, weil ihnen eben die Offenheit fehlte. Das sehen nicht nur wir Buddhisten so - ein christlicher Pilger sagte einmal: "Was nützt es, zu den Heiligtümern des Herrn zu pilgern, wenn das Herz nicht mitgeht?"

Aber diese Offenheit kann sich auch entwickeln, indem man Informationen bekommt. Die Hingabe zu einem Lehrer kann stärker werden, wenn klar wird, was die besonderen Qualitäten eines Erleuchteten sind und wenn man sie dann zunehmend beim Lehrer entdeckt. In ähnlicher Weise wird man offener für heilige Stellen, wenn man erfährt was an diesen Stellen alles geschehen ist, wer dort schon alles meditiert hat, was für besondere Erlebnisse Menschen dort hatten, usw. Man stellt sich dann innerlich auf die Besonderheit des Platzes ein, denkt an die großen Lehrer die hier schon waren, und daran, was hier alles geschehen ist. Man genießt das Gefühl der Dankbarkeit gegenüber der Linie und unseren Lehrern, die uns das alles ermöglichen und macht dann seine Praxis und die Wünsche.

Solche Informationen über die Stellen zu haben ist kein Muss, aber es kann helfen sich zu öffnen. Als ich 1987 zum ersten Mal das Glück hatte, mit Lama Ole und Hannah Nydahl und einer kleinen Gruppe von Freunden auf Einladung von Lopön Tsechu Rinpoche in Bhutan zu reisen, kannten wir damals nicht einmal die Namen all der Stellen, geschweige denn Details darüber. was es mit ihnen auf sich hatte. Es war damals eine Tibet-Reise geplant gewesen, und erst nach unserer Ankunft in Kathmandu wurde deutlich, dass Tibet wegen schwerer Erdrutsche nicht erreichbar war. Tsechu Rinpoche organisierte daraufhin spontan unseren Besuch in Bhutan, aber niemand war in irgendeiner Weise auf Bhutan vorbereitet oder hatte auch nur einen Reiseführer dabei. Es gab praktisch keine Erklärungen an all den Stellen - und doch war der Segen einfach unbeschreiblich und hat uns nie wieder verlassen.

Andererseits haben meine Freundin Claudia und ich auch einmal zu zweit in einer kleinen Milarepa-Höhle in Yolmo in den Bergen Nepals praktizieren können.2 Die Höhle war klein, sehr primitiv eingerichtet, mit einem sehr einfachen klapprigen Altar - alles in allem sehr unscheinbar und kurz vor Weihnachten auch nicht gerade gemütlich. Ich hätte vielleicht nicht spontan die Offenheit gegenüber dieser Stelle gehabt ohne das Wissen, dass ER hier inspiriert von der Dakini Ama Yangri3 praktiziert hatte.

 

Wenn wir von heiligen Stellen reden, kommen zuerst die berühmten Pilgerplätze in Indien, Tibet, Bhutan, Nepal, usw. in den Sinn. Aber je mehr Menschen hier im Westen an bestimmten Orten Verwirklichung erlangen und großartige Dinge tun, um so mehr werden wir auch hier heilige Stellen erschaffen. Die heiligsten Stellen die wir zur Zeit im Westen haben, sind wohl der Altar im Diamantweg-Zentrum in Kopenhagen und vielleicht die Kalachakra-Stupa bei Malaga in Spanien. Lama Ole sagt, dass dieser Altar durch den 16. Karmapa in einem Maße gesegnet wurde und dass dort so besondere Reliquien liegen, dass es einfach nichts Vergleichbares im Westen gibt. Es ist DIE Stelle, um Wünsche zu machen.4 Und nach dem Bau des Kalachakra-Stupa im Zentrum Karma Gön in Spanien soll Tsechu Rinpoche gesagt haben, dass es jetzt keinen Grund mehr gäbe, nach Asien zu reisen, denn der Stupa sei genau so heilig wie alle Pilgerstellen dort.

 

Ganz bestimmt ist auch das Reisen mit dem Lama eine Pilgerreise. Der Lama ist schließlich das A und O im Diamantweg; er oder sie ist der Punkt, wo wir unsere uns innewohnende Erleuchtung gezeigt bekommen. Die Nähe zum äußeren Lama ist so gesehen die heiligste Stelle, die es im Diamantweg gibt. Wenn wir also den Lama begleiten, reisen wir sozusagen nicht zu einer heiligen Stelle, sondern mit einer heiligen Stelle. Manchmal fragen die Leute, ob sie ihren Urlaub für die Reise mit dem Lehrer oder für Pilgerreise nutzen sollen. Mit der richtigen Sichtweise gibt es hier jedoch keinen Unterschied. Man kann dem Lama an den heiligen Stellen im Himalaya innerlich sehr nahe sein, auch wenn er sich gerade auf der anderen Seite der Erdkugel befindet. Umgekehrt kann man all den Segen dieser Stellen auch in der physischen Gegenwart des Lehrers spüren.

 

Letztlich ist es unsere Sichtweise, die entscheidet ob eine Reise einfach nur Sightseeing oder wirklich eine Pilgerreise ist, denn eine solche ist mehr als nur die heiligen Stellen im Reiseplan abzuhaken. Was dazu gehört, ist eine gewisse Bereitschaft für Abenteuer, für das Verlassen des gemütlichen Gewohnten. Es muss nicht so schlimm kommen, wie das berühmte Zitat der Tibeter es ausdrückt: "Am besten man stirbt auf einer Pilgerreise. Das Zweitbeste ist, man wird krank. Das Mindeste ist, man wird bestohlen." (Lama Ole sagte mir einmal mit einem Augenzwinkern, dass diese Belehrung sowieso eher für jene gegeben wurde, denen solches geschieht.) Aber man muss damit rechnen und sich innerlich darauf einlassen, dass man Reinigungen erlebt. Tatsächlich wird man auf solchen Reisen erleben, dass körperliche Anstrengungen und Reinigungen einen zugänglicher machen für das Eigentliche was man hier sucht. Oft ist es die körperliche Anstrengung vor dem Erreichen einer besonderen Stelle, die dann den Praktizierenden Tränen der Hingabe in die Augen treibt.

 

Unter Extrembedingungen fällt es leichter, mit den Spielen des Ego aufzuhören, sie einfach mal zu vergessen und die Dinge um einen herum wirklich zu "sehen", wie sie sind. Dann geht man auch anders mit dem Segen der Buddhas um. Zu Dorje Phagmos Beyül Pemakö sagte einmal ein Pilger: "Wer sie erkennen will, muss sich ihr völlig hingeben. Wenn du sie erobern oder besitzen willst, wird sie sich dir immer entziehen. Pemakö ist kein Ort, den du verführen kannst. Der Ort verführt dich."

 

Traditionell heißt es sogar, dass manche heilige Stellen Schützer haben, die all jene fernhalten, die sich nicht wirklich einlassen wollen. Diese Schützer können alle möglichen Hindernisse hervorrufen - äußere Probleme, Krankheiten, Zweifel, emotionale Störungen, Störungen in der Reisegruppe. Nur wer unbeirrt mit guter Motivation durch alles hindurchgeht, wird zu der Stelle gelangen. Vielleicht gelangt sogar jeder dort hin, aber dann wird nur derjenige den Segen wirklich erleben, der durch all das hindurchgegangen ist. Je mehr einen die Bedingungen der Reise verunsichern, umso besser eigentlich. Wer auf der Pilgerreise ständig über einfaches Essen, staubige Hotelzimmer und holprige Straßen schimpft, wird sich schwer tun, mehr als nur das Äußere der heiligen Stellen zu entdecken.

Eine Pilgerreise erschöpft sich nicht im Besuch heiliger Stätten, das ist nur die äußere Pilgerreise.

Die innere Pilgerreise beinhaltet, dass wir etwas lernen und mehr Weisheit und Mitgefühl entwickeln. Wir kennen von den Phowa-Kursen, was für innere Turbulenzen hier erlebt werden können. Aber wir wissen auch, wie verändert wir danach sind. Die Welt ist danach nicht mehr wie vorher, unser Leben hat sich geändert.

Die geheime Pilgerreise bedeutet, dass unsere gewöhnliche Sichtweise in die Reine Sicht verwandelt wird. Das wäre wohl das beste Resultat der Reise - eine neue Weise zu sehen, mit den Augen eines Buddha. Genauso wie wir es nach jeder Meditation üben, wenn es in unseren Texten heißt: "Die Welt ist jetzt rein und vollkommen. Jedes Atom schwingt vor Freude und wird zusammengehalten von Liebe. Alles ist frisch und neu, voll unbegrenzter Möglichkeiten. Alle Wesen sind weibliche und männliche Buddhas, ob sie sich dessen bewusst sind oder nicht. Geräusche sind Mantras und Gedanken Weisheit, bloß weil sie geschehen."

 

1 Ausführliche Erklärungen dazu gab der 3. Karmapa Rangjung Dorje in seiner Zusammenfassung der maßgeblichen tantrischen Erklärungen zur wahren Natur von Körper und Geist, dem Sabmo Nang gi Dön, der "tiefgründigen inneren Bedeutung"

2 Taphuk Senge Dzong, die "Tiger-Höhle in der Löwen-Festung", nahe Tarke Gyang im Helambu.

3 Eine der vier Schwestern der Schützerin Tashi Tseringma. Ama Yangri heißt sie hier in Yolmo, üblicherweise sonst eher Tekar Drosangma.

4 Siehe Interview mit Hannah Nydahl in Buddhismus Heute Nr. 44

 

Literatur:

Ian Baker: Das Herz der Welt.
Eine Reise zum letzten verborgenen Ort
Pendo-Verlag, ISBN: 3866120974

Keith Dowman: Geheimes heiliges Tibet
Hugendubel, ISBN: 3720521346

Ngawang Zangpo: Sacred Ground:
Jamgon Kongtrul on Pilgrimage and Sacred Geography
Snow Lion Publications, ISBN: 1559391642

Tarthang Tulku: Holy Places of the Buddha
(Crystal Mirror Series)
Dharma Publishing, ISBN: 0898002443

Toni Huber: Cult of Pure Crystal Mountain -
Popular Pilgrimage and Visionary Landscape in Southern Tibet
Oxford Universiy Press, 1999, ISBN 0195120078


Detlev Göbel, Jahrgang 1960, internationaler Reiselehrer und Redakteur der „Buddhismus Heute". Pilgerreisen seit 1987 in Nepal, Bhutan, Indien und Kham.

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