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BUDDHISMUS HEUTE
Aus: Buddhismus Heute Nr. 37, ( 2004)

Ein Buddha im Silicon Valley

Interview mit dem 17. Karmapa Thaye Dorje

Buddhismus Heute: Es ist uns eine große Ehre, mit dir anlässlich deines aller ersten Besuches in den Vereinigten Staaten zu sprechen. Was sind deine Eindrücke von Amerika und den Amerikanern?

Karmapa: In Amerika ist alles groß… Ich sehe große Straßen, große Autos, selbst große Menschen (Lachen). Aber allgemein: Die Menschen haben einen offenen Geist, was für den Buddhismus sehr wichtig ist. Seit ich damals in Tibet ganz klein war, habe ich mir immer gewünscht zu reisen. Die Möglichkeit viele verschiedene Orte zu sehen, war für mich sehr aufregend. Als ich dann in Europa oder in anderen Ländern reiste, konnte ich die Erfahrung machen viel zu lernen, und das war hier genauso. Obwohl ich nun seit zwei Monaten an einem Ort geblieben bin, lerne ich immer noch sehr viel. Alles in allem war es eine großartige Erfahrung.

Was sind die wichtigsten Punkte im Buddhismus?
Buddhismus ist nicht eine Religion oder eine Philosophie. Was Buddhismus so besonders und verschieden von all den anderen Religionen macht, ist die Tatsache, dass es eine Methode ist, die uns ermöglicht, uns mit unserer wahren Essenz in Verbindung zu bringen. Auf Grundlage der Methoden des Buddhismus können wir die Natur von allem erkennen. Man kann auch sagen „die Natur des Geistes erkennen, da der Geist diese bedingte Welt erschafft. Aus diesem Grunde ist der Geist ziemlich wichtig, aber ansonsten kann man auch in einfacherer Weise sagen „die Natur von allem. Was auch immer wir sehen, was wir fühlen, was auch immer wir erzeugen Buddhismus erklärt die Natur von dem allem. Buddhismus ist nur eine Methode. Er beruht nicht darauf, was jemand gesagt hat oder auf Glauben; er beruht auf Tatsachen. Wenn wir diese Methoden benutzen und versuchen zur Wahrheit zu gelangen, verwenden wir dafür nicht nur das Dharma sondern auch alle anderen Ressourcen, also jedes Wissen, das wir in dieser Welt erlangen können, ohne an irgendeinem davon
anzuhaften.

Wie ist in diesem Zusammenhang die Rolle von Bodhicitta dem Erleuchtungsgeist zu sehen?
Für uns als Karma-Kagyü-Praktizierende, die wir dem Mahayana und dem Vajrayana folgen, ist Bodhicitta wichtig. Es verändert alles sehr. Was auch immer wir tun, selbst wenn wir dabei noch immer an uns selbst denken, sollte mit der Absicht anderen zu nutzen geschehen. Das ist wesentlich für Vajrayana-Buddhismus.
Sowohl Mahayana als auch Vajrayana arbeiten mit Bodhicitta. Der Weg des Mahayana ist breiter und klarer, aber er geht über die Bücher, man folgt den Anweisungen. Vajrayana arbeitet mit direkteren Mitteln; er ist riskanter und verlockender. Wir gehen hier direkt zur letzten Stufe und versuchen von dort aus zurückzublicken und zu sehen, wie wir dahin gelangt sind.
Die Schulen des Hinayana und Mahayana pflanzen zuerst einen Samen, wässern ihn dann, geben ihm mehr Erde, und dann bekommen sie die Frucht. Sie verwenden eine sehr systematische Herangehensweise. Im Vajrayana versuchen wir, das Pflanzen des Samen mit der Frucht selbst zu kombinieren. Wir versuchen, sie näher zusammenzubringen und benutzen jeden nur möglichen Weg, diese Frucht innerhalb von Tagen zu bekommen.

Man verwendet also das Ziel als Ausgangspunkt?
Ja, so verwenden wir die effektivsten Mittel.
Es ist wie Dünger hinzufügen und Gen-Technologie zu verwenden.

Karmapa lacht

Könntest du mehr über Bodhicitta erklären?
Bodhicitta ist ein Sanskrit-Wort. In Tibetisch verwenden wir die Ausdrücke monpa sem khyed und jukpa sem khyed. Sem heißt Geist und khyed heißt erzeugen, also den Bodhicitta-Geist sowohl als Absicht als auch in praktischer Weise zu entwickeln. Monpa sem khyed ist die Praxis des Bodhicitta des Wunsches, und jukpa sem khyed ist das aktive Bodhicitta.

Zuerst muss man erkennen, dass die bedingte Welt leidvoll ist, dann dass die fühlenden Wesen in diesem Leiden gefangen sind. Auf Grundlage dieses Verständnisses entwickelt man eine Selbstverpflichtung Leiden zu entfernen und stattdessen Glück zu geben. In Tibetisch sagen wir dazu jampa und nyinje. Jampa heißt Glück geben, nyinje heißt Leiden wegnehmen. Das ist sehr einfach und grundlegend. Ich denke, die englischen Ausdrücke sind "loving kindness" [liebende Güte] für jampa und "compassion" [Mitgefühl] für nyinje.
Dauerhaftes Glück zu geben muss nicht Wohltätigkeitsarbeit bedeuten, sondern Dharma lehren und Leuten helfen, die Bedeutung des Dharma zu verstehen, wie man es verwendet und praktiziert. Sowohl das Bodhicitta des Wunsches als auch das Bodhicitta der Anwendung sind nötig.

Bodhicitta ist wichtig in der Dharma-Arbeit. Wir müssen anderen genauso wie uns selbst helfen. Wenn wir anderen helfen, bekommen wir mehr Verständnis. Und wenn wir uns selbst helfen, werden wir fähig anderen mehr zu helfen. Es arbeitet in beide Richtungen.

Was genau ist mit aktiven Bodhicitta gemeint?
Das Bodhicitta des Wunsches ist eine Selbstverpflichtung den Zustand der Erleuchtung zu erlangen, wohingegen aktives Bodhicitta bedeutet, den Weg zur Erleuchtung tatsächlich einzuschlagen. Aktives Bodhicitta ist Mut. Es bedeutet, nicht nur Wünsche zu machen und dann davonzulaufen, sondern sie in die Tat umzusetzen, die Situation in die Hand zu nehmen und zu handeln. Aktives Bodhicitta beinhaltet die sechs befreienden Handlungen.

Wenn du zum Beispiel Belehrungen oder Einweihungen gibst, oder wenn jemand ein buddhistisches Meditationszentrum eröffnet ist das aktives Bodhicitta?
Aktives Bodhicitta ist eine Kombination aus sowohl Wünschen als auch Handlungen. Was würde man tun ohne eine Absicht? Wenn wir ein Zentrum aufbauen, Belehrungen und Einweihungen geben, oder selbst wenn wir meditieren, dann brauchen wir doch die Absicht es zu tun um anderen zu helfen, nicht wahr?

Du bist das Oberhaupt der Karma Kagyü Linie. Was ist diese Karma Kagyü Linie?
Das tibetische Ka steht für all die Anweisungen, und gyu steht für die Übertragung, die von einem verwirklichten Meister an den nächsten weitergegeben wurde. Die Übertragung ist rein, klar und fehlerlos. Die Karma Kagyü Linie kommt von Tilopa und Naropa. Tilopa empfing die Übertragung direkt von Dorje Chang und von den verwirklichten Meistern der vier Richtungen Indiens. Sie wurde dann weitergegeben an Marpa, Milarepa und Gampopa. Gampopa gab die Übertragung seinen drei Hauptschülern, insbesondere dem ersten Karmapa Dusum Khyenpa. Sie nannten den ersten Karmapa „Khampa Use. Khampa ist jemand aus einer Region in Ost-Tibet und Use bedeutet graues Haar.

Unsere Kamtsang Kagyü begann mit dem ersten Karmapa, und unsere Hauptpraktiken sind die Sechs Lehren Naropas und das Mahamudra. Mahamudra ist ein Sanskrit-Ausdruck, den wir in der Kagyü-Schule verwenden. In Tibetisch heißt es Tschag Gya Tschenpo [das "Grosse Siegel"] und es ist eine spezielle Belehrung unserer Linie um direkt auf die Natur des Geistes zu meditieren. Es gibt natürlich andere Ausdrücke für Mahamudra in den Nyingma- und Gelugpa-Schulen, so wie Tawa Chenpo, Uma Chenpo und Dzogpa Chenpo.

Was ist der Unterschied zwischen Mahamudra und Dzogchen?
Es sind nur verschiedene Methoden, verschiedene Herangehensweisen für unterschiedliche Leute, was auch immer ihnen am besten passt. Letztendlich ist es unwichtig, welche Methoden wir verwenden um Verwirklichung zu erlangen, die Frucht ist immer die gleiche. Es ist so wie wenn man sagt: "Ich reise nach Frankfurt, und ich kann mit Lufthansa oder mit United reisen."

In unseren Diamantweg-Zentren ist das Guru-Yoga auf den 16. Karmapa die Hauptpraxis. Könntest du den Nutzen dieser Praxis erklären?
Man muss zuerst die Bedeutung von Guru-Yoga verstehen. Guru-Yoga ist die Praxis auf den eigenen Lehrer. Normalerweise könnte man einen friedvollen oder einen zornvollen Buddhaaspekt vergegenwärtigen. Aber der Grund für die Übung des Guru Yoga ist, dass der Lehrer ein menschliches Wesen ist, ganz so wie wir. Dadurch ist es leichter, sich auf ihn oder sie zu beziehen; wir können ein stärkeres Band, eine bessere Verbindung haben. In der Tat würde man ja ohne den Lehrer nie das Dharma kennen lernen. Ein Guru ist der beste Führer, der beste Weg. Sowohl die Praxis auf Buddhaaspekte als auch Guru-Yoga sind wesentlich, aber Guru-Yoga ist so besonders, weil man ohne den Lehrer den Buddhaaspekt nicht einmal kennen würde. Der Lehrer zeigt uns alles. Wir übernehmen all seine oder ihre Qualitäten und verwenden sie um die gleiche Ebene von Verwirklichung zu erlangen.

Wenn wir an einen Lehrer denken, so ist es leichter sich auf ihn zu beziehen und etwas zu erlangen, denn er ist ein Mensch so wie wir. Durch die Praxis des Guru-Yoga ist der Segen, den wir bekommen, sogar noch stärker, einfach deswegen, weil unser Geist offener ist. Wir könnten ja sonst auch Guru-Yoga einfach auf einen Stein machen, es ist das gleiche. Aber mit dem Lehrer fühlen wir mehr Vertrauen.

Andererseits sollten wir an den Lehrer nicht nur als einen Menschen denken, sondern auch an seine Qualitäten. Diese sind die Drei Juwelen, der Lehrer hat alle drei. Wie der Buddha ist er nicht einfach nur eine Person, sondern jemand, der den Weg zur Erleuchtung zeigt. Zweitens hat und kennt er das Dharma, und drittens hilft er oder sie uns auf unserem Pfad, und das ist die Sangha. Wenn ihr denkt, dass Guru-Yoga eine Praxis nur auf den Körper des Lehrers ist, dann wird das eine Quelle für Samsara sein. Es gibt keine dauerhafte Qualität in einem menschlichen Körper; es sind nur Fleisch und Knochen.

Durch Guru-Yoga ermöglicht uns der Lehrer die letzte Stufe zu verstehen, das letzte Stück das alles kristallklar werden lässt. Diese Qualität hat der Lehrer.

Guru-Yoga scheint eine viel geeignetere Praxis für unseren Lebensstil zu sein, als zum Beispiel die Sechs Lehren Naropas.
Jeder Teil buddhistischer Praxis ist wesentlich. Jede Praxis, die ihr macht, ist wichtig, und sie sind alle wirksam. Wenn ihr mehr Vertrauen habt und etwas auch besser für euch passt, werdet ihr die Ergebnisse schneller erzielen. Es ist eine Frage davon, was für den Einzelnen am besten geeignet ist, abhängig von seiner oder ihrer Situation, der Zeit, und selbst der Kultur.

Können wie die Verwirklichung der großen Meister ohne lange Zurückziehungen und Praktiken wie den Sechs Lehren Naropas erlangen?
Bei den Sechs Lehren Naropas denkt man daran, dass es da so viele Dinge zu tun gibt, und es fühlt sich wie eine schwere Last an. Dann hört man, dass man einfach Guru-Yoga machen und das gleiche Ergebnis erlangen könne. Man sagt sich: "Ja, Guru Yoga ist kurz, das kann ich tun." Aber nach und nach kommt man zu einem Verständnis der besonderen Qualitäten der Methoden der Sechs Lehren Naropas, wie zum Beispiel das Phowa. Ohne diese zu üben, kann man nicht so tief gehen und nicht tatsächlich die Wahrheit in so kurzer Zeit erkennen. Ab einem gewissen Punkt will man die Sechs Yogas praktizieren, es wird eine Notwendigkeit. Durch Guru-Yoga nähert man sich immer mehr an und bekommt kleine Stücke der Sechs Lehren Naropas. Man erhält einen Geschmack davon, aber nicht die vollständige Erfahrung.

Könntest du etwas über die Kraft von Mantras sagen? Was ist der Nutzen des Mantras Karmapa Chenno?
Wir benutzen das Mantra Karmapa Chenno im Guru-Yoga auf den 16. Karmapa um näher an Karmapas Ebene der Verwirklichung zu kommen. Das tibetische Wort karma bedeutet Aktivität und pa ist die Person, die diese Aktivität ausführt. Karmapa heißt einfach "Mann der Aktivität". So ist selbst das Mantra eine Form des Guru-Yoga.

Nur das Mantra zu sagen ist Guru-Yoga?
Vielleicht nicht ganz es einfach nur zu sagen, sondern auch an seine Bedeutung zu denken. Wenn wir dieses Mantra wiederholen, sind wir sehr nah an Karmapas Wesen; wir erwecken seinen Körper, seine Rede und seinen Geist. Diese Worte tragen die Essenz der drei Formen von Karmapa: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Man kann in einfacher Weise sagen, dass Karmapa, oder ein anderer Lehrer, auf den wir Guru-Yoga üben, die Drei Juwelen verkörpert. Wenn wir das sechssilbige Mantra von "Liebevolle Augen" (skt. Avalokiteshvara) rezitieren Om Mani Peme Hung öffnen wir unseren Geist für seine zeitlosen Qualitäten. Als "Liebevolle Augen" das Bodhisattva-Versprechen gab und seine Aktivität begann, machte er starke Wünsche, dass alle, die dieses Mantra wiederholen, seinen Segen bekommen. Es ist das gleiche mit Karmapa Chenno.

Jeder Karmapa erklärt von sich selbst, der Karmapa zu sein. Wir hörten, dass du dies bereits als kleines Kind getan hast.
Ja, obwohl ich zu der Zeit noch sehr klein war.

Würdest du sagen, dass es eine starke Überzeugung war?
Ja, und ich hatte ein starkes Gefühl, dass ich etwas Gutes tun könne, einfach gesagt. Ein Gefühl, dass ich die Dharma-Aktivität ausführen und die Herausforderung des Lehrens annehmen könne. Ich hatte sehr starkes Vertrauen. Zu der Zeit war ich noch sehr klein und wusste nicht genau, was dieses Gefühl bedeutet. Es war sehr ungewöhnlich, und erst mit sechs oder sieben Jahren begann ich es zu verstehen.

Durch meine Praxis kann ich nun sagen, dass ich, was auch immer der letzte Karmapa tat, wieder aufnehmen und ausführen kann. Ich habe die Fähigkeit es zu tun. Das ist es, was ich fühle. In dieser Weise kann ich sagen, dass ich der Karmapa bin. Karmapa heißt einfach die Person, die Aktivität ausführt.

Du bist sehr sicher, dass du seine Aufgaben übernehmen kannst?
Ja, sonst wäre ich nur eine weitere Version dieser Leute, die behaupten Karmapa zu sein. Nur zu sagen "Ich bin Karmapa" reicht nicht. Um den Karmapa zu erkennen, braucht man Beweise. Es erfordert viel Arbeit und intensive Meditation von Seiten der Person, die für die Anerkennung verantwortlich ist.

In diesem Fall Shamar Rinpoche?
Ja, Shamar Rinpoche mit Hilfe eines anderen Lamas.

Du bist jetzt in einer völlig anderen Umgebung als Tibet. Vermisst du die Gegend, wo du aufgewachsen bist? Hast du das Gefühl, vielleicht dorthin zurückzugehen?
Wer weiß, eines Tages werde ich vielleicht frei dorthin zurückgehen. Ich habe den größten Teil meiner Kindheit in Lhasa verbracht, aber das vermisse ich nicht besonders. Was ich vermisse, das ist die Ruhe von Ost-Tibet, das Grasland, die Berge, die Natur.

Denkst du, dass Buddhismus in Tibet niedergeht?
Nicht völlig. Es gibt immer noch viele Lehrer dort, und viele Leute arbeiten mit dem Dharma. Wenn wir uns die Geschichte anschauen, so kommen die Lehren aus Indien, wurden später nach Tibet gebracht, dann nach China, Europa und so weiter. In Indien gibt es immer noch Spuren von Buddhismus. Es gibt in Tibet definitiv eine starke Grundlage, und eines Tages wird Buddhismus dort vielleicht wieder aufblühen.

Dein Vater ist ein hoher Nyingma-Lama. Kannst du sagen, welchen Einfluss er auf dich hatte, als du ein Kind warst?
Er hatte einen sehr starken Einfluss. Ich denke, dadurch, dass ich ihn als Vater hatte und auch durch meine Mutter, wurde mir der Zugang zum Dharma sehr erleichtert.
Insbesondere da mein Vater ein hoher Nyingma-Lama war, ein Rinpoche, hatte er ein sehr tiefes Wissen des Dharma. Ich lernte viel mehr und kam schneller voran als normale Kinder.

Hat er dir meditieren beigebracht?
Nein, nicht wirklich meditieren. Er brachte mir Lesen und Schreiben bei. Ich hatte keinen Lehrer zu der Zeit und ging nicht zur Schule, weil meine Eltern das nicht für sicher genug hielten. Seit ich ganz klein war, war ihnen irgendwie klar, wer ich war. So brachten mir mein Vater und mein Onkel alles bei.

Du konntest zu Hause lernen?
Ja, ich hatte Glück. Als ich aus Tibet herauskam, wusste ich bereits ziemlich viel. Natürlich hatte ich keinen Computer, aber ich hatte viele Texte auswendig gelernt.

Wer sind zur Zeit deine wichtigsten Dharma-Lehrer, und kannst du etwas über ihre Qualitäten sagen?
Nun, fast jeder Lehrer hat seine eigenen besonderen Qualitäten. Ich hatte das große Glück, viele Dharma-Lehrer zu haben. Von Shamar Rinpoche, Chobje Thri Rinpoche, Ludhing Khenchen Rinpoche, Beru Khyentse Rinpoche, Khen Trinley Paljor Rinpoche und Peba Tulku erhielt ich Ermächtigungen. Topga Rinpoche, Sempa Dorje und Khenpo Chödrak lehrten mich buddhistische Philosophie. Manchmal habe ich mehrere Monate in Meditations-Zurückziehung verbracht. Das ist ziemlich wichtig, denn Wissen ist nicht genug; man muss die Erfahrung davon bekommen.

Wo hast du deine westliche Ausbildung bekommen?
Ich bin zu keiner Schule gegangen, aber ich lernte viel von meinen früheren Englisch-Lehrern. Englisch lernte ich von verschiedenen Leuten, einschließlich Mark Tschelistcheff, einem Amerikaner; Lucy, eine Dame von der neuseeländischen Botschaft in New Delhi; Professor Sprigg, ein Schotte mit starkem britischem Akzent; und Shona und Stewart Jarvis aus Australien. Heute kann auch eine Menge mit Hilfe moderner Technologien wie dem Internet lernen. Obwohl ich schon sehr viel gelernt habe, ist das noch nicht genug. Ich muss mehr lernen, es gibt grenzenlos viel Wissen in der Welt. Das ist ein fortlaufender Prozess und er hat kein Ende.

Kannst du etwas sagen über die Ermächtigungen in die verlorenen Marpa-Tantras, die du neulich von Ludhing Khenchen Rinpoche bekommen hast? Warum werden sie als so wertvoll erachtet?
Shamar Rinpoche hatte Ludhing Khenchen Rinpoche mehrmals gebeten diese Einweihungen weiterzugeben. Aber aufgrund von Ludhing Khenchen Rinpoches vielfältigen Aktivitäten in Indien war es dort immer schwierig gewesen, die Zeit dafür zu finden. Als er plante nach Seattle zu reisen, entschieden wir, dass dies die perfekte Gelegenheit sei, diese wichtigen Ermächtigungen hier in Amerika zu bekommen. Es sind versteckte Lehren, die 200 Jahre lang nicht in unserer Linie gelehrt wurden. Zum Glück wurden sie in der Sakya-Linie praktiziert und dies war eine goldene Gelegenheit sie zurückzuerhalten. Ich habe 22 von ihnen bekommen; es gibt einige, die wir wegen unseres Zeitplanes nicht geschafft haben. Für Rinpoche war es eine große Anstrengung, allein schon diese 22 zu übertragen. Er musste jeden Tag sechs Stunden lang praktizieren um jede einzelne Ermächtigung vorzubereiten, und dann zwei weitere Stunden oder mehr um sie zu geben. Die längeren Übertragungen benötigten jeweils zwei Tage.

Warum ist es so wichtig, diese Tantras weiterzugeben?
Es ist wichtig, dass eine große Bandbreite an Methoden bewahrt wird. Sie haben alle die gleiche Essenz, aber verschiedene Qualitäten. Um öffentlich eine Ermächtigung zu geben, muss man die mündlichen Unterweisungen und die Übertragung bekommen und dann eine gewisse Verwirklichung erlangt haben. Es muss immer jemanden geben, der die Zeit hat es zu praktizieren, zu verwirklichen und weiterzugeben.

Denkst du, es gibt Schüler, die fähig sein werden, diese Tantras heutzutage zu praktizieren?
Ja, ich würde sagen: Jeder kann es. Wir müssen sie nutzen und nicht nur für die Zukunft bewahren.

Aber ist es praktisch möglich?
Jeder muss den richtigen Moment und die richtige Zeit dafür finden. Es ist genauso als ob man sagt, dass jeder die Buddha-Natur hat. Es gibt zum Beispiel verschiedene Arten von Früchten in einem Garten, aber man kann sie nur essen, wenn sie reif sind. Wenn man es vorher tut, so sind sie bitter und schwer zu verdauen.

Es hängt also von dem einzelnen Praktizierenden ab, ob er oder sie dafür bereit ist oder nicht?
Ja, und selbst wenn die Schüler noch nicht bereit sind, so muss man als Lehrer immer noch die bestmöglichen Umstände für ihre Praxis schaffen. Deswegen haben wir Dharma-Zentren.

Wie siehst du deine Aktivität als der 17. Karmapa?
Es ist noch ein ziemlich langer Weg, und es kommen viele Herausforderungen. Ich mache den ersten Schritt und ich denke, es wird ziemlich interessant.

Ist es für den Karmapa wichtig, die Schwarze-Kronen-Zeremonie auszuführen?
Es war wichtig. Bis zum 16. Karmapa war das eine Tradition, aber eben nur eine Tradition, nicht mehr. Für mich ist es nicht so wichtig. Wir können es haben, aber wenn nicht, macht es keinen großen Unterschied.
Wir sagen, dass die Schwarze Krone ein Symbol für Karmapas Aktivität ist, und es stimmte zu der Zeit. Heute kann im richtigen Moment auch eine Baseball-Kappe den Geist von jemanden öffnen. Es ist wie eine Türklinke, die die Tür öffnet.

Es gibt in der Kagyü-Linie verschiedene Praxis-Stile, die manchmal zu Spaltungen in der Sangha führen. Siehst du deine Rolle als Oberhaupt der Linie so, dass du vereinst und verschiedene Herangehensweisen zusammenführst? Oder begrüßt du die Vielfalt der Gruppen und Praktizierenden und siehst es als natürlich an?
Es ist natürlich, kleine Spaltungen zu haben. Zu der Zeit als der Buddha lehrte, gab es nur ein Verständnis seiner Lehren. Nach seinem Tod erschienen mehr und mehr Herangehensweisen. Verschiedene Weisen der Praxis sind gut, wenn sie wirksam sind und den Leuten helfen.

Wenn jedoch Spaltungen auftreten und Schwierigkeiten kommen, dann sollte man sie lösen. Es kann auch erforderlich sein, den Lehrstil zu modernisieren. Die Idee dabei ist, nicht etwas Neues zu machen, sondern andere Ausdrücke zu benutzen während man die Essenz beibehält.

Was macht die Diamantweg-Methoden einzigartig?
Ich würde sagen, die Frage ist nicht richtig. Ihr könnt in allen anderen buddhistischen Methoden etwas Einzigartiges finden. Diamantweg ist eine sehr moderne Methode, besonders wirksam im Westen, und wir haben bereits eine Reihe guter Ergebnisse gesehen. Zum Beispiel gibt es in Europa viele Praktizierende und viele Zentren, und die Leute folgen nicht einfach nur, sondern verstehen, was das Wichtigste ist. In dieser Weise ist Diamantweg sehr wirksam in modernen Zeiten. Es passt vielleicht besser für den westlichen Geist und ist in dieser Weise einzigartig.

Die Entwicklung in Europa kam vor allem durch die Aktivität von Lama Ole Nydahl. Was denkst du, warum er solche Ergebnisse erzielen konnte?
Ich denke, er ist für jedermann ein großartiges Beispiel. Man kann sehen, wie viel ein Einzelner erreichen kann. Bevor er Buddhist wurde, war er sehr wild. Aber wenn man einmal auf seine Buddha-Natur gestoßen ist, kann man Berge versetzen.

Dürfen wir etwas Persönliches fragen? Ist es schwierig für dich, immer im Zentrum der Aufmerksamkeit der Leute zu stehen?
Ich gewöhne mich daran. (Lachen). Manchmal ist es irritierend, aber in einigen Kulturen ist es eine Weise Respekt zu zeigen, und es wird mit den besten Absichten getan. In den Vereinigten Staaten oder in Nord-Europa ist es leichter und entspannter.

Was ist die beste Weise dich anzusprechen? Sollen deine Schüler dich Eure Heiligkeit nennen?
Mich kümmert es nicht, welcher Name verwendet wird. "Karmapa" ist in Ordnung, es ist sehr einfach. Ich denke, dass ich einen Namen einem Titel vorziehe.

Wie sieht es aus mit Verbeugungen vor einem Lehrer?
Verbeugungen als ein Gruß hängen von der Situation ab. In Asien ist es Teil der Kultur. Im Westen würde es manchmal sehr befremdlich wirken und wir können das auslassen. Für mich sind Verbeugungen ein Muss, wenn ich Ermächtigungen bekomme. Im richtigen Kontext ist es ein Zeichen für Respekt. Wir sollten sie nicht grundlos machen. Alles, was wir im Buddhismus tun, sollte mit richtigem Verständnis geschehen.

Wie siehst du die Zukunft der Karma Kagyü Linie?
Die Zukunft sieht sehr gut aus. (Karmapa lächelt). In unserer Linie sind viele Leute am Dharma interessiert, die nicht einfach nur Anhänger sind, sondern ein intellektuelles Verständnis haben. Das ist eine gute Basis für weitere Entwicklung.

Vielen Dank!

Das Interview wurde geführt von Gosia Pellarin, Alyson Talley, Tomek Lehnert und Brooke Webb.

Übersetzung aus dem Englischen von Detlev Göbel und Claudia Knoll

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