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BUDDHISMUS HEUTE
Aus: Buddhismus Heute Nr. 33, ( 2001)

Zur Bedeutung der Meditation auf den Lehrer

Von Manfred Seegers

Bei meinen Forschungen zu den Urspüngen und Inhalten der Kagyü-Linie habe ich kürzlich drei wichtige Quellen in die Hand bekommen, die die Bedeutung der Meditation auf den Lehrer oder Lama (Skt. Guru-Yoga) erklären. Vor längerer Zeit schon hatte Khenpo Tschödrag, der Ausbildungsleiter am Karmapa Institut in Neu Delhi, gesagt, dass es alte indische Quellen zur Bedeutung des Guru-Yoga gibt. Man könnte diese Texte in den verschiedenen Sammlungen von Mahamudra-Werken der Vorväter der Kagyü-Linie finden. Nun habe ich diese Texte durch Jim Rheingans von der Hamburger Universität bekommen und möchte zunächst in allgemeiner Form ihren Inhalt weitergeben.

Der erste der beiden Texte stammt von König Indrabodhi dem Mittleren [von den drei verwirklichten Meistern (Skt. Mahasiddhas) unter diesem Namen]. Er hat einen Kommentar zu den Lehren Buddhas im Sangye Nijanchor Tantra geschrieben, wo er sagt, dass unter den verschiedenen Arten, wie man eine Einweihung bekommen kann, diejenige des Guru-Yoga die hervorragendste und tiefgründigste ist. Hier müsste man keine äußere Einweihung bekommen, sondern könne sie sich selbst geben, indem man die verschiedenen Lichter in sich hineinstrahlen lässt.

Diese Aussage bezieht sich auf den sogenannten "Weg der Methode", wo man mit der Energie-Ebene des Geistes arbeitet. Marpa, der Übersetzer, der Gründungsvater der Kagyü-Linie, hat diese Lehren von seinem Lehrer Naropa bekommen. Indrabodhis Erklärungen zu diesem Tantra vom Buddha bedeuten damit konkret, dass das Guru-Yoga die Essenz des Weges der Methode ist.

Weiterhin gibt es in der Sammlung der Lehren des Großen Siegels mit dem Namen "Nyingpo Khordrug" ein Werk von dem indischen Meister Saraha mit dem Namen "Rang Tschinlab". Hier erklärt Saraha, dass das Guru-Yoga die Essenz des "Weges der Befreiung" ist. Wiederum handelt es sich um eine Übertragung, die Marpa, der Übersetzer, von einem indischen Lehrer bekommen hat, diesmal von dem Meister Maitripa. Es sind Lehren, die mit der Ebene der Bewusstheit oder Einsicht des Geistes arbeiten. Man kann sie unter dem Thema "das Große Siegel" (Skt. Mahamudra) zusammenfassen. In diesem Fall ist die Praxis des Guru-Yoga der Schlüssel zu dieser Erfahrung.

Saraha erklärt in dem Text, wie man dabei vorgeht. Man soll sich die Qualitäten des Lamas bewusst machen (zum Beispiel durch Beschäftigung mit seiner Lebensgeschichte) und dann das Vertrauen, die Offenheit und Freude, die dadurch entstehen, dazu benutzen, direkt auf die Natur des Geistes zu schauen. In dem Moment würde man den Segen des Lamas erhalten und eine Erkenntnis von der Natur des Geistes würde entweder neu entstehen oder sich vertiefen.

Als dritte Quelle gibt es in einem der Schätze des Gelehrten und Meditationsmeisters Jamgön Kongtrul Lodrö Thaye, dem "Schatz der Anweisungen und Techniken zur geistigen Verwirklichung" (Tib. Gdams ngag mdzod) einen Text des Meisters Tilopa zum Guru-Yoga. Hier preist der indische Gründer unserer Kagyü-Linie in poetischen Versen diese besondere Praxis und erklärt ihre Bedeutung. Da dies ein verhältnismäßig kurzer Text ist, habe ich ihn bereits übersetzt und stelle ihn an das Ende dieses Artikels.

Diese drei Erklärungen von Indrabodhi, Saraha und Tilopa bilden damit die Quellen für die Anweisungen zum Guru-Yoga, wie wir sie bereits von Lama Ole und durch ihn vom 16. Karmapa erhalten haben. Da diese Meister nichts anderes als weitere Erläuterungen zur Lehre Buddhas gegeben haben, belegen diese Quellen, dass der Buddha selbst die Praxis des Guru-Yoga als Essenz oder Abkürzungsweg zur Erleuchtung gelehrt hat, der die beiden anderen Wege in sich vereint.

Praktisch bedeutet dies, dass die Aufbauende Phase der Drei-Lichter-Meditation auf Karmapa, wo wir uns seine Form vergegenwärtigen und sein Mantra rezitieren, alle Formen der Praxis mit den inneren Energien in sich vereinigt und dass die Verschmelzungs- oder Vollendungsphase dieser Meditation alle Formen der Praxis mit der Bewusstheit oder Einsicht beinhaltet. Mit diesem Verständnis bekommt die Drei-Lichter-Meditation sowie jede andere Form von Guru-Yoga tiefen Sinn, und es wird fast selbstverständlich, dass die Gruppen und Zentren, die diese Meditationen verwenden, eine äußerst schnelle und kraftvolle Entwicklung erleben.


MANFRED SEEGERS
Nach Abschluss eines 5-jährigen Studiums authorisierter buddhistischer Lehrer. Studierte und lehrte von 1990 - 2000 am KIBI in Neu-Delhi.
Er hält Vorträge und Seminare im In- und Ausland.

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