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BUDDHISMUS HEUTE
Aus: Buddhismus Heute Nr. 31, ( 2000)

Buddhistische Kraftplätze im Kathmandu-Tal

Von Andreas Bräu und Manfred Ingersfeld

Hintergrund dieser Geschichte über unsere Eindrücke in Kathmandu, ist eine Reise aus Anlass des drei-jährigen Bestehens des neuen Klosters von Lopön Tsechu Rinpoche. Er lädt jedes Jahr Interessierte aus aller Welt ein, an den Feierlichkeiten teilzunehmen. Manfred, Nikolai und ich spürten schon bei unserer Ankunft die besondere Schwingung dieses Ortes.

Der tollste Kraftplatz in Kathmandu ist kein anderer als der kleine Raum im ersten Stock des Nebengebäudes zum Kloster. Im Zimmer, gefüllt mit Bildern, Statuen und seinen persönlichen Dingen, trifft man Lopön Tsechu Rinpoche. Den Telefonhörer in der einen Hand, ein Schriftstück in der anderen, sehr konzentriert, zur selben Zeit im Gespräch mit seinen Vertrauten, findet Rinpoche Zeit, die neu Angekommenen zu begrüßen und uns zu segnen. Hier, das Bild seines eigenen Lehrers, dort die Statue Karmapas in der Kronzeremonie, findet man sich im Zentrum des Mandalas. Verlässt man selbstvergessen diesen Ort, weiß man erst gar nicht wohin mit sich und dem guten Gefühl. In diesem Kraftfeld zu bleiben ist faszinierend - und spart Zeit. Wie oft trifft man um die Ecke die Person, an die man gerade gedacht hat, wie schnell kommen Gespräche zu dem Punkt, wo einem gerade die dringendste Frage beantwortet wird und wie einfach ist es hier, regelmäßig zu meditieren.
Man kann im Kloster wohnen; über der großen Puja Gompa gibt es die kleinere Gompa für die stille Meditation, wie sie im Westen gehandhabt wird; man ist willkommen.
Schon bei der ersten Umrundung sucht meine Hand die Mala, das "Karmapa Tschenno" ist schon lange unbewusst auf den Lippen und es fühlt sich hier so natürlich an, für andere gute Wünsche zu machen.
Die innere Ruhe zu genießen, den einen oder anderen Geistesblitz das eigene Leben betreffend, scheint alles zeitlos, bedeutungsvoll, die Mantras stärker, das Karma weicher zu sein. Vorsicht - die Hand aufs Herz beim Betreten des Shamarpa-Klosters, beim Eingang will das Herz heraushüpfen, so viel gute Stimmung vor der Statue des 16. Karmapa. Ole sagt, dass er hier seinen Lehrer das erste Mal getroffen hat und wir fühlen die starke Hingabe und die Kraft sich begegnen. Den dumpfen Schlägen der Pujatrommel folgend, finden wir uns in der Gompa wieder, wo die Mahakalas riesig den Raum ausfegen. Die Statue des 2. Karmapa ist so zeitlos-kraftvoll, dass der junge Mönch konkret werden muss, um uns wieder aus der Gompa rauszukriegen.
Die Swayambunath-Anhöhe ist ein Kraftplatz so recht für unseren Kagyü-Geschmack, den wir oft mehrmals täglich aufsuchen. Natürlich tief und freudig in unseren Wünschen für die persönliche Entwicklung, das Wachsen des Dharma weltweit - möge Ole mindestens 150 Jahre so weitermachen.
"Seid ihr überhaupt Buddhisten?" fragt der ungepflegte Tempeldiener herausfordernd. Schneller als ein Gedanke zücken wir unseren Gau und unsere Mala, das ist die Eintrittskarte in den Mahakala-Tempel an der New Road. Hier ist ein bekannter Orakelplatz. Alles ist unglaublich, die besondere raumfüllende Schwingung, die wir erst beim Singen der Mahakala-Anrufung so richtig spüren, die Mengen an Whiskey, die hier geopfert werden und es ist eine unglaubliche Vielfalt von kleinen Tierchen hier drinnen.
Der Duft von Räucherwerk und Spirituosen, der leise Modergeruch und die nicht zu übersehenden Kakerlaken lassen uns erahnen, dass Mahakala nicht der feine Herr von nebenan ist. Wie gut, dass wir so eine freundschaftliche Beziehung zu dem großen Schwarzen Mann vor uns pflegen!
Beim Verlassen des Raumes juckt es uns am ganzen Körper - was wir als besonderen Segen begrüßen. Auch als später im Cafe eine ordentliche Kakerlake aus Manfreds Rucksack kommt, nehmen wir es als ein besonders gutes Zeichen. Fortan sind diese Krabbler eine Inspiration für uns.
In Sakhu, eine Stunde östlich von Kathmandu, fragt sich der Taxifahrer durch. Wir stehen vor den breiten Steintreppen, die zum Vajrayogini Tempel hinaufführen. Alles scheint uralt zu sein, so auch der Wachhund, der uns neben einem Polizisten und den verschlossenen Gompa-Toren oben erwartet.
Wir machen es uns zur Gewohnheit, an den Kraftorten zu meditieren. Hier sitzen wir halt vor dem Eingang, was den jungen Polizisten zu einigen Extrarunden veranlasst, uns aber die kraftvoll-präzise Stimmung dieses Ortes erleben lässt. Tief zufrieden können wir später weit oben auf der Anhöhe des Tempelberges den Blick auf die weißen Berge des Himalayas genießen.
Woher bekommen die Powerplätze ihre unverkennbare Kraft? Die Energiefelder der verwirklichten Meister, die hier im Kathmandu-Tal praktiziert haben und deren zahllose Wünsche zum Wohl der Wesen, lässt ihre Kraft präsent sein. Besucht man diese Orte, entsteht durch die eigene Offenheit die Verbindung.
Im Kathmandu-Tal ist der Buddhismus nie, wie anderswo, zerstört worden. Auf der Reise zwischen Tibet und Indien haben die Dharma-Meister bevorzugt hier Halt gemacht, um sich zu akklimatisieren und an den schon vorhandenen besonderen Plätzen zu meditieren.
Die Frage, ob viele aneinander gereihte Löcher "Strasse" genannt werden können, stellt sich drängend auf der Rüttelfahrt zur großen Boudhanath-Stupa im Nordosten der Stadt. Das enorme Bauwerk, die alles über- und durchschauenden Buddha-Augen, sind der erste Eindruck.
Vor allem für die Nyingmapa-Schule ist dieser Ort bedeutend. Erbaut von Jadzimo und ihren vier Söhnen, früheren Inkarnationen von Guru Rinpoche, dem Abt Shantaraksita, Vimalamitra und dem Dharmakönig Trisong Detsen, welche alle einen zentralen Beitrag zur ersten Verbreitung des Buddhismus in Tibet im 8. Jahrhundert leisteten. Wichtig für uns heute ist, dass Lama Ole hier Lopön Tsechu Rinpoche getroffen hat und so die Verbindung mit dem 16. Karmapa zustande kam.
Südwestlich von Kathmandu um das Dorf Parping herum wird die Suche (des Dharma-Touristen) nach kraftgeladenen buddhistischen Orten gleich dreifach belohnt. Ein unscheinbarer Tempel beherbergt die selbst-entstandene Tara-Statue. Wie von innen aus dem glatten, schwarzen Fels herausgewachsen, ist es unverkennbar Tara, die schnelle Befreierin, mit dem rechten Bein nach vorne gestreckt. Wie gibt es so etwas?
Die Asura-Höhlen sind weiter bergauf. Hier hat Guru Rinpoche meditiert, als unmissverständliches Zeichen seiner Fähigkeiten hinterließ er am Eingang der Höhle seinen Handabdruck im Stein.
Im Vajrayogini-Tempel, wo Marpa sich im Zuge seiner drei Reisen nach Indien aufhielt, hat er die Vajrayogini-Meditation verwirklicht. Marpa spielt eine  große Rolle bei der zweiten Verbreitung des Buddhismus in Tibet im 11. Jahrhundert. Nach dem Tod Yeshe Tsogyals, Guru Rinpoches tibetischer Gefährtin, hatte der König Langdharma den Buddhismus in Tibet praktisch zerstört.
Nachdem wir für Stunden die besondere Meditationskraft dieser Orte genießen durften, fühlen wir große Motivation für unsere eigene Praxis. Die Geschichte des tibetischen Buddhismus und unserer Linie ist in uns präsent. Etwas "spacy" fahren wir zurück nach Kathmandu.
Ein anderer wichtiger Marpa-Platz ist das kleine Kloster gleich neben dem von Lopön Tsechu Rinpoche. Es wird uns von mehreren Seiten übereinstimmend bestätigt, dass Marpa hier für drei Jahre gelebt hat. Schon auf seiner ersten Reise nach Tibet traf er Chitherpa und Paindapa, die nepalesischen Schüler Naropas. Als Marpa den Namen Naropas hörte, erwachte die Verbindung aus seinem früheren Leben und er fühlte starke Sehnsucht. Tatsächlich wurde Naropa Marpas Hauptlehrer. Genug Anlass für uns, den Wunsch zu haben, hier zu meditieren. Wieder funktioniert das Kraftfeld. Zwei Freunde kommen mit ihren Sitzkissen um die Ecke, sie haben den Schlüssel für den Meditationsraum organisiert.
Die bleischwere Luft Kathmandus verlassen und im Wald zu wandern ist an sich schon toll; auf dem grünen Hügel Jamachok, zusammen mit all den freundlichen Tibetern die Nagarjuna-Stupa zu besuchen, berührt uns richtig. Tibetische Pilgergruppen kommen hierher, singen im Kreis sitzend Pujas, machen Opferungen, Gebetsfahnen überall. Die herrliche Aussicht auf die Himalaya-Kette am nördlichen Horizont, den Blick über die Swayambunath- und Boudhanath-Stupa im Südosten, befinden wir uns hier auf sehr heiligem Boden.
Eine Stelle zeigt wo Meister Nagarjuna meditiert hat. Er erhielt die Belehrungen Buddhas über Leerheit von den Nagas, Erd- und Wassergeistern, die diese speziellen Belehrungen in Gewahrsam hatten. Er schrieb Erklärungen zu diesen Weisheitslehren und gründete die hochangesehene Madhyamaka-Philosophie-Schule. Wegen seiner weltlichen Fähigkeiten, wie das Fliegen, seine Lebensspanne zu verlängern und als Alchimist war Nagarjuna berühmt. Manfred hat wie immer das Spezialwissen parat, was unseren Besuch hier noch tiefgründiger macht, so dass eine Verbindung entsteht.
Man kann nicht alles haben. Die Nagarjuna Höhle finden wir nie. Mehr auf dem Hosenboden als in gewohnter menschlicher Gangart kommen wir den steilen Waldhang herab. Wir machen uns Gedanken, ob wir heute Abend im Restaurant Reis oder Nudeln haben sollen. Da stehen wir der großen Buddha-Statue gegenüber. Nagarjuna, dargestellt mit den fünf Schlangen, Symbol für die Nagas, die sich schützend von hinten über seinen Kopf beugen, zur Rechten. Plötzlich sind unsere Energien wieder ganz in der Mitte. Haben wir die Höhle doch gefunden. Hier die Stimmung des Meisters zu spüren, veranlasst mich noch jetzt, als ich das schreibe, mit geradem Rücken zu sitzen.

"Die Buddhas und ihre Kraftkreise entstehen bereits beim ersten vertrauensvollen Gedanken an sie oder an den Lama, der sie vertritt. Schon beim Sprechen der ersten Silbe ihrer Anrufung (skt. Mantra, tib. Ngag) sind sie da, ob man sie wahrnimmt oder nicht."

                                                                                           Lama Ole Nydahl in "Das Große Siegel"


Autoren:

Manfred Ingersfeld ist Biologe und arbeitet an der Universität in Christ-church/Neuseeland. Er leitet das dortige Karma-Kagyü-Zentrum.

Andreas Bräu ist Krankenpfleger in Wörth, seit acht Jahren Buddhist.