Physik und Buddhismus - Ein Vergleich, Teil 1Von René StaritzbichlerHäufig werden physikalische Erkenntnisse herangezogen, um die buddhistische Lehre zu belegen. Die relevanten Bereiche der Physik sollen nachfolgend möglichst verständlich in einem Vergleich zusammengefasst werden, der stets den Bezug zwischen den verschiedenen Ebenen des Buddhismus und der Physik herstellen soll. Da Naturwissenschaft abstrahierend, das heißt wesentliche Eigenschaften aus dem Ganzen herausziehend, und damit analytisch, zerteilend vorgeht, ist der Geist selbst unmöglich fassbar, und man findet Erkenntnisse in der Erscheinungswelt. Hier sind die Ebenen der Erkenntnis einander nah genug, um verglichen zu werden. Viele Aussagen der buddhistischen Lehre stimmen mit denen der Physik überein. Die fundamentalen Theorien - Plancks 1901 begonnene Quantenphysik, Einsteins 1905 begonnene Spezielle Relativitätstheorie - lassen sich neben neueren Erkenntnissen der Kern- und Elementarteilchenphysik drei buddhistischen Begriffsgruppen zuordnen: "Form und Leere", "Ursache und Wirkung" und "Entweder-Oder und Sowohl-als-Auch". Eher ein kleiner Hinweis ist der Abschnitt "Licht in den Zellen". Form und Leere In unserer Erfahrungswelt gibt es nichts, was seit anfangsloser Vergangenheit so wie jetzt existiert und in endlose Zukunft weiter so existieren wird. Alles entsteht und vergeht, die Form bleibt nicht ewig wie sie ist und kann daher nicht absolut sein. Ihre Veränderbarkeit ist ein Hinweis auf die Leerheit der Dinge. Jedoch wäre es möglich, daß die Form, wie sie uns erscheint, aus dauerhaften Bausteinen zusammengesetzt ist, die sich unserer Wahrnehmung entziehen und die ewig gleichbleiben. So wie man hässliche Mauern niederreißen und aus denselben Steinen ein wunderschönes Schloss bauen könnte: Das Gebäude hätte sich geändert, aber die Steine wären gleich geblieben. Dann würde sich jenseits unserer Wahrnehmung, im Kleinen, die Form nicht verändern - sie wäre nicht "leer". Daß dies nicht der Fall ist, belegen Erkenntnisse der Physik. Materie kann sich auflösen, entstehen, und sie kann sich in andere Materie verwandeln: Beim Zerfall von Atomkernen wird ein Teil der Materie aufgelöst. Sie wird zu der Bewegung der Bruchstücke, das heißt die Bruchstücke bewegen sich mit hoher Geschwindigkeit voneinander weg. Ein weiterer Teil der Materie löst sich dabei in "Licht" (elektromagnetische Strahlung) auf. Trifft Materie auf ihre Antimaterie werden sie ebenfalls zu "Licht". Umgekehrt kann sich "Licht" in Materie und Antimaterie verwandeln. Materie kann zusammen mit Antimaterie aus dem "Nichts" entstehen, verschwindet allerdings nach extrem kurzer Zeit wieder. Es gibt keine Materie, die nicht verändert werden kann. Die unsichtbaren Bausteine unserer Erfahrungswelt sind "leer". Zum Verständnis der beschriebenen Vorgänge ist ein Begriff wesentlich: Energie. Einsteins bekannte Formel E = mc2 sagt: Energie ist gleich Masse, Masse ist gleich Energie. (Die Masse entspricht dem Gewicht eines Körpers.) Was ist mit Energie gemeint? Ein Körper hat Energie wenn er sich in irgendeiner Weise bewegt. Als ganzes, wie ein Ball, oder in sich schwingend, wie ein Musikinstrument. Wärme ist ebenfalls Bewegung, ungeordnete Bewegung der einzelnen Teile. In Gasen bewegen sich die Moleküle desto schneller, je wärmer das Gas ist; in festen Körpern schwingen die einzelnen Atome gegeneinander. Ein Körper hat Energie, wenn er sich im Gravitationsfeld der Erde befindet, gespeichert als mögliche Bewegungsenergie. Je weiter er von der Erdoberfläche entfernt ist, desto mehr potentielle Bewegungsenergie hat er. Er würde um so schneller werden, wenn er fiele. Die gesamte Bewegungsenergie eines Körpers besteht also aus der tatsächlichen Bewegungsenergie und der gespeicherten, möglichen Bewegungsenergie. Energie (die Gesamtenergie) kann nicht verschwinden; sie kann zwar umgeformt werden, aber nicht verschwinden und auch nicht entstehen, sie ist da! Dies folgt aus einer Eigenschaft der Zeit, dass nämlich die gleichen Naturgesetze zu verschiedenen Zeitpunkten gelten. Mit anderen Worten: Dadurch, dass das Kristallglasschälchen, ließe man es fallen, heute genauso wie morgen zu Boden stürzen würde, kann Energie nicht entstehen und nicht vergehen. Energie ist also etwas, das Bewegung beschreibt und das erhalten bleibt. Laut Einstein ist Masse gleich Energie, sie können ineinander umgewandelt werden. Das heißt, ein Körper kann seine Masse in Bewegung (und andere Existenzformen) "verwandeln". Dies soll zunächst am Beispiel von Kernzerfällen erläutert werden: Große Atomkerne, die aus vielen Neutronen und Protonen bestehen, können in mehrere Bruchstücke zerfallen. Wesentlich dabei ist, dass die Bruchstücke zusammen leichter sind als der ursprüngliche "Mutterkern". Bei dem Zerfall hat sich Masse aufgelöst - sie ist umgewandelt worden in die Bewegung der "Töchter und Söhne" der Bruchstücke. Die Gesamtenergie nimmt dabei weder zu noch nimmt sie ab; es hat nur ein Teil der Energie seine Form geändert: von Masse zu Bewegungsenergie. Umgekehrt verschmelzen Wasserstoffkerne, die nur aus einem Proton bestehen, zu einem Heliumkern aus zwei Protonen und zwei Neutronen. Dabei verschwindet ebenfalls Masse und es wird Bewegungsenergie "frei" - die Sonne erzeugt damit ihre Energie. Dass Spaltung großer Kerne genau wie Fusion kleiner Kerne Energie "freisetzt", liegt daran, dass in Kernen sowohl anziehende als auch abstoßende Kräfte wirken, die bei unterschiedlich großen Kernen verschieden stark sind. Auf der Ebene der Elementarteilchen, den kleinsten bislang zugänglichen Bausteinen der Materie, sind den Möglichkeiten, wie sich "Energieformen" verändern können, fast keine Grenzen gesetzt. Man kennt drei unterschiedliche Klassen von Teilchen: Die Teilchen können innerhalb einer Klasse zerfallen oder zu Teilchen einer anderen Klasse werden. Hier zerbrechen keine zusammengesetzten Kerne, es wird ein kleinstes Teilchen zu einem oder mehreren anderen kleinsten Teilchen. Wie sehr dabei die Erscheinungsform verändert wird, soll an einem Beispiel erläutert werden: Das Austauschteilchen der elektromagnetischen Wechselwirkung ist das Photon. Das Photon ist die kleinste, unteilbare Einheit des elektromagnetischen Feldes, das sich wellenartig ausbreitet. Das Photon hat einige faszinierende Eigenschaften: Es bewegt sich mit Lichtgeschwindigkeit (Licht besteht aus Photonen), und solange es sich bewegt, hat es "Masse". Hält man das Photon an, hat es plötzlich keine Masse mehr! Bewegt es sich, hat es Masse; bewegt es sich nicht, hat es keine. Um dies zu verstehen muss man wissen, dass nach Einsteins Spezieller Relativitätstheorie die Masse eines Teilchens um so größer wird, je schneller es ist. Das geht so weit, daß eine Welle, die keine Ruhemasse hat, bei Lichtgeschwindigkeit eine Masse erhält. Das Photon hat Masse, weil es sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegt. Ein Photon ist also etwas grundsätzlich anderes als ein sich langsam bewegendes Teilchen mit Masse. Dennoch kann ein Photon, wenn es ausreichend Energie hat, in ein Teilchen und dessen Antiteilchen zerfallen, beispielsweise in Elektron und Antielektron (= Positron), oder in Quark und Antiquark. Hierbei entsteht Materie (= Masse). Die Energie eines Photons entspricht seiner Wellenlänge, und die Gesamtenergie ist natürlich erhalten. Umgekehrt zerfallen Teilchen und Antiteilchen, treffen sie aufeinander, in Photonen - und Materie verschwindet. Die Antiteilchen haben gleiche Masse, Energie, Lebensdauer und Impuls wie die zugehörigen Teilchen, nur entgegengesetzte elektrische Ladung. Zu jedem Teilchen existiert ein Antiteilchen. Einige elektrisch neutrale Teilchen sind gleichzeitig ihre eigenen Antiteilchen. Die Existenz von Antiteilchen wurde aus einer Rechnung heraus vorhergesagt und später experimentell nachgewiesen. Es gibt nichts, was nicht der Veränderung unterworfen wäre. Es gibt keine absolut dauerhaften Existenzformen; nur "Etwas", das Form und Veränderung (Form und Leere) einschließt, und das wir Energie nennen, bleibt erhalten. Was geschieht, wenn es keine Form gibt? Aus dem Raum in dem sich "Nichts" befindet, dem Vakuum, entstehen ständig extrem viele Teilchen-Antiteilchen-Paare, ohne "Grund". Dass Materie aus dem Nichts entsteht, widerspricht massiv der Energieerhaltung. Es gibt aber in der Physik des Kleinen, der Quantenmechanik, eine sogenannte Energie-Zeit-Unschärfe. Das bedeutet, die Energieerhaltung gilt, aber nicht exakt. Für Bruchteile einer Sekunde kann das Gesetz verletzt werden: um so kürzer, je größer die Abweichung von der exakten Erhaltung ist, das heißt je mehr Materie entsteht, desto kürzer kann sie existieren. Die aus dem Nichts entstandenen Teilchen-Antiteilchen-Paare können also nur sehr kurze Zeit existieren, bevor sie wieder in den Raum verschwinden. Da sie nicht frei existieren können, nennt man sie virtuell. Virtuelle Teilchen/Antiteilchen können nicht getrennt entstehen, nur als Paar. Aber sie existieren, sie entstehen und vergehen - und sind nachweisbar! Ursache und Wirkung Ursache und Wirkung ist ein Prinzip, welches sowohl im Buddhismus als auch in der Physik gilt. In der buddhistischen Sichtweise des Karmas folgt eine Wirkung nicht direkt auf die Ursache. In der äußeren Erscheinungswelt kann eine Wirkung Jahre nach der Ursache eintreten, sogar erst in einem folgenden Leben. Wann genau, ist nicht zwingend festgelegt. Der Geist, der durch den Raum mit allem verbunden ist, speichert alle Ursachen und erzeugt eine der Qualität der vorhergehenden Taten, Worte und Gedanken entsprechende Welt. Die Situation im Jetzt, die Bedingungen, die man vorfindet, setzen sich aus vielen Handlungen der Vergangenheit zusammen. Und jede Handlung wird Auswirkungen auf die Zukunft haben. Gäbe es jedoch nur Ursache und Wirkung, dann wäre man einer endlosen, unabänderlichen Folge von Wirkungen ausgeliefert, ohne Eingreifen zu können - ohne jede Freiheit. Freiheit besteht gerade darin, in seinen Handlungen nicht den Bedingungen unterworfen zu sein, nicht jedem Durst, jedem Zorn folgen zu müssen, sondern diesen Kreislauf durchbrechen zu können. Erleuchtung bedeutet frei von Karma, von Ursache und Wirkung, zu sein. Ursache und Wirkung gilt im Buddhismus zwingend; dazu kommt jedoch die Freiheit der Entscheidung im Jetzt. Und im Gegensatz zur klassischen Physik (damit meint man meistens die Physik vor der Quantenmechanik) muss das Erleben einer Wirkung nicht sofort der Ursache folgen. Die klassische Physik sieht die Welt als "Billardspiel": Weiß man genau, wie der Stoß kommen wird, weiß man genau wie sich die Kugeln bewegen werden - und man glaubte in der klassischen Physik, somit alles genau wissen zu können. Eine festgelegte Zukunft ohne Entscheidungsfreiheit. Bei den Stößen reagieren die Kugeln sofort und nicht erst im nächsten Spiel... Klassische Physik und Buddhismus widersprechen sich! Auf elementarer Ebene, in der Quantenmechanik, ändert sich die Sicht, und man findet Übereinstimmung mit dem Buddhismus. Dafür gehen wir noch einmal zum Kernzerfall: Grob gesagt zerfällt ein Kern, weil er kann, da Energie "frei" wird. Je mehr Energie beim Zerfall frei wird, desto schneller wird er zerfallen, bzw. desto größer wird die Wahrscheinlichkeit eines Zerfalls. Aber es gibt nichts was ihn zwingt, zu einem bestimmten Zeitpunkt zu zerfallen. Es gibt keinen Grund warum er zu einem bestimmten Zeitpunkt zerfallen muss - ihm fehlt eine "innere Uhr" - im Gegensatz zum Beispiel zu einem Menschen, dem man sein Altern ansieht und damit die Wahrscheinlichkeit "seines Zerfalls". Für eine große Menge Kerne kann man genau sagen, wann zum Beispiel die Hälfte der Kerne zerfallen sein wird, die Wahrscheinlichkeit wird zum zwingenden Gesetz, das um so genauer wird, je mehr Kerne vorhanden sind. Wie beim Karma folgt eine Wirkung nicht sofort auf eine Ursache. Der Glaube der klassischen Physik, alles genau wissen zu können, stellt sich in der Quantenmechanik als grundsätzlicher Irrtum heraus, zum Beispiel ist die Zukunft eines einzelnen Kerns prinzipiell unbekannt. Ursache und Wirkung und Zeit Das Gesetz von Ursache und Wirkung verlangt, dass die Ursachen vor den Wirkungen kommen. Mit anderen Worten muß die Zeit eine feste Richtung, nämlich die uns vertraute, haben. Würde die Zeit ihre Richtung ändern können, würden Wirkungen vor ihren Ursachen kommen. Unsere Erfahrung sagt uns, dass die Zeit ihre Richtung nicht einfach so ändern kann, jedoch gibt es eine Relativität der Zeit für sich schnell bewegende "Körper": Schaue ich auf meine Armbanduhr, sehe ich wie die Zeit gleichförmig vergeht, und bis auf mein subjektives Empfinden werde ich an dem Ticken der Uhr nichts ändern können. Anders sieht es aus, wenn ich auf die Armbanduhr von jemanden schaue, der zum Beispiel mit halber Lichtgeschwindigkeit an mir vorbei fliegt. Dessen Uhr scheint langsamer als meine zu ticken, er altert langsamer - aus meiner Sicht! Für ihn selbst tickt seine Uhr ganz normal! Dazu ein Beispiel: Hochenergetische kosmische Strahlung, meist schnelle Protonen, erzeugen beim Aufprallen auf die Luftmoleküle der Erdatmosphäre ganze Schauer von Elementarteilchen. Eines der erzeugten Teilchen ist das Myon (ein Lepton). Aufgrund seiner kurzen Lebenszeit, viel kürzer als eine Sekunde, dürfte es nie bis zur Erdoberfläche kommen. Da es aufgrund der hohen Energie sehr schnell ist, ziemlich nah an Lichtgeschwindigkeit, "lebt es aus unserer Sicht" länger und erreicht die Erdoberfläche, obwohl es tatsächlich, aus eigener Sicht, genauso lange lebt wie "sonst". Würde es Lichtgeschwindigkeit erreichen, würde es unendlich lange leben, und könnte es noch schneller als Licht werden, würde es in die Vergangenheit reisen. Es würden Wirkungen vor ihren Ursachen eintreten. Ein Teilchen bräuchte nur eine gewisse Geschwindigkeit zu überschreiten, nämlich 300 000 km pro Sekunde und schon wären "Ursache und Wirkung" durcheinander. Jedoch können nur Teilchen, die (in Ruhe) keine Masse haben, Lichtgeschwindigkeit erreichen. Ein Teilchen, das (in Ruhe) eine Masse hat, kann keine Lichtgeschwindigkeit erreichen, da seine Masse unendlich anwachsen würde und damit die Energie, die man zur Beschleunigung bräuchte, unendlich groß würde. Und masselose Teilchen haben niemals mehr als Lichtgeschwindigkeit. Man könnte glauben, durch einen Trick die Geschwindigkeitsbegrenzung zu umgehen, indem man sich in eine richtig schnelle Rakete setzt, sagen wir spaßeshalber viertel Lichtgeschwindigkeit (ca. 66 000 km pro Sekunde - normale Raketen werden ca. 28000 km/h schnell, ungefähr ein viertausendstel der Lichtgeschwindigkeit), und schaltet man dann die Frontscheinwerfer ein, dann müßte dieses Licht um ein Viertel schneller sein als Licht das von einem stehenden Scheinwerfer ausgestrahlt wird. Aber es ist nicht so: Sowohl für den, der in der Rakete sitzt, als auch für jemanden, an dem die Rakete vorbeifliegt, hat das Licht, das die Rakete ausstrahlt, Lichtgeschwindigkeit, niemals mehr. Bei Steinen macht es einen Unterschied, ob man sie von einem fahrenden Zug runterschmeißt oder aus dem Stehen, bei Licht nicht! Man kann also Ursache und Wirkung nicht durcheinanderbringen, indem man sich besonders schnell bewegt. Es gibt jedoch einen Versuch, bei dem anscheinend Information mit Überlichtgeschwindigkeit übertragen wird: Das EPR-Experiment (Einstein-Podolsky-Rosen) war zunächst ein Gedankenexperiment um die Schwächen der Quantenmechanik zu zeigen: Ein Atomkern zerfällt in zwei gleiche Teile. In demselben Moment in dem man einen Teil beeinflusst, "weiß" der andere davon - auch bei großen Entfernungen. In der Quantenmechanik bleiben sie ein System, ein Ganzes, weswegen sie voneinander wissen, obwohl sie sich voneinander getrennt haben. Dieses Wissen ist schneller als Licht, obwohl es nicht im herkömmlichen Sinne übertragen wird, indem sich ein Informationsträger (zum Beispiel Licht) von einem Teil zum anderen bewegt. Und gerade weil es keine "bewegte" Übertragung ist, verletzt dies nicht Ursache und Wirkung, der Mechanismus ist anderer Art. Gibt es einen physikalischen Grund für die Richtung der Zeit und damit für Ursache und Wirkung? In der Physik gilt die Richtung der Zeit als festgelegt, wenn es einen Vorgang gibt, der nicht in der umgekehrten Reihenfolge ablaufen kann. Das heißt, wenn man einen Film von einem Ereignis rückwärts laufen lässt und das was man sieht unmöglich ist, das heißt gegen ein Naturgesetz verstößt, ist die Richtung der Zeit bewiesen. Eine Ursache für die Zeit oder eine Beschreibung der Natur der Zeit ist dies nicht und wird von der Physik auch nicht geliefert. Gibt es also Vorgänge, die nicht umkehrbar sind? Relativ einfach ist dies in der anschaulichen Erfahrungswelt. Es gibt viele Vorgänge, die wenig Sinn machen, wenn man sie, wie einen Film, rückwärts betrachtet: ein zerspringendes Glas, ein mit blockierten Rädern bremsendes Auto. Beim Vollbremsen stoßen Reifenmoleküle (billardartig) mit denen der Straße zusammen. Die Bewegung der Reifen verwandelt sich in ungeordnete Bewegung der Straßenatome gegeneinander, das heißt in Wärme. Im groben Maßstab unserer Wahrnehmung scheint der Vorgang nicht umkehrbar, mikroskopisch wäre es durchaus möglich, dass alle Stöße zwischen Straße und Reifen genau umgekehrt stattfinden und ein stehendes Auto plötzlich anfängt sich zu bewegen, ohne dass sich die Räder drehen - es ist nur sehr sehr unwahrscheinlich, unglaublich unwahrscheinlich - aber dennoch prinzipiell möglich und damit kein "reiner" Beweis für die Richtung der Zeit. Das einzig reine physikalische Argument für eine Zeitrichtung ist ein (etwas schwer verständliches) theoretisches, welches man sich durch folgende Analogie veranschaulichen kann: Ein Auto fährt geradeaus. Wenn man jedoch weiß, dass das Auto verzogen ist und immer nach links fährt, weiß man durch logisches Schlussfolgern, daß der Fahrer nach rechts lenkt. Diese Art des Rückschlusses wird auch zum Beweis der Zeitrichtung verwendet. Dem geradeaus fahrenden Auto entspricht das allen bisher beobachteten Prozessen zugrundeliegende Gesetz, dass sie auch möglich sind, wenn man ihre Reihenfolge umkehrt, Teilchen und Antiteilchen vertauscht und sie räumlich spiegelt (3 Operationen). Dagegen existieren nicht alle Prozesse, bei denen nur Teilchen und Antiteilchen vertauscht sind und der räumlich gespiegelt ist, die Reihenfolge aber gleich ist (2 Operationen). Alle Prozesse, bei denen die drei Operationen ausgeführt werden, existieren - das Auto fährt geradeaus. Nicht alle Prozesse, bei denen nur zwei Operationen ausgeführt werden, existieren - das Auto ist verzogen. Man kann schlussfolgern: Die dritte Operation, die Zeit, muss diesen Unterschied ausgleichen - der Fahrer muss gegenlenken. Das heißt, dass es einen Unterschied macht, in welche Richtung ein Vorgang abläuft, dass es also eine "bevorzugte Zeitrichtung" gibt - experimentell ist dies nicht belegbar. Die fundamentale Physik kann nur dieses aus der Elementarteilchenphysik stammende, theoretische Argument für die Richtung der Zeit liefern, welches dennoch nicht ohne Gewicht ist. René Staritzbichler (31 Jahre alt) schreibt zur Zeit seine Diplomarbeit in theoretischer Physik (Quantenfeldtheorie) bei dem Teilchenbeschleuniger HERA (DESY) in Hamburg und möchte danach an dem Licht in unseren Zellen forschen. |
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