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BUDDHISMUS HEUTE
Aus: Buddhismus Heute Nr. 31, ( 2000)

Störende Gefühle - Die Arbeit damit

Von Lama Ole Nydahl

Das freie Spiel des grenzenlosen Raumes zeigt sich in der äußeren Wahrnehmung als Welten, Geschehnisse, Wesen, also als die Gegenstände unserer Sinne und die der wissenschaftlichen Forschung. Auf innerer Ebene sind es Gedanken und Gefühle, die erscheinen, herumspielen, erkannt werden, auf die eingegangen wird, und die wieder in den Bereich seiner Möglichkeiten zurückkehren.

Alle zweiheitlichen Denkweisen trennen den Geist jedoch von dem was er hervorbringt und führen so zu begrenzten Sichtweisen, die das Leben einengen. Die zwei bekanntesten darunter sind der Materialismus und Nihilismus. Ein paar hundert Jahre nach Buddha, im Land der alten Griechen, fühlten sich wichtige Leute von Denkrichtungen gestört, die die Verneinung aller Werte für wahr erklärten. Sie hielten es für gefährlich für die Gesellschaft, wenn Dinge theoretisch bis ins Nichts hinein geteilt werden konnten und bestanden deswegen auf das Vorhandensein eines "Atomos", einer letztendlich unteilbaren Einheit. Es war eine reine Behauptung, etwas nicht Nachweisbares, was sie aber vor der Bedrohung des Nicht-Seins und möglicher Schwarzer Löcher schützte. Das Übereinkommen, dass die Teilchen ab einer gewissen Größe nicht weiter zerfallen konnten, schenkte ihrem Leben eine vertrauenerweckendere Wirklichkeit.

Das hatte jedoch keinen anhaltenden Erfolg. Genießer des uferlosen Denkens erschienen immer wieder und so starb die Sichtweise des Nihilismus nie aus. Über die letzten 2300 Jahre wurde dieser Wechsel im ruhelosen, unbestechlichen Westen zum Beispiel sehr sichtbar in den Künsten: Zu Zeiten, wo das weibliche Prinzip mit großen Brüsten und von vielen Kindern und Früchten umgeben dargestellt und die Bilder in Ocker und anderen Erdfarben gehalten wurden, entsprachen sie deutlich der Erfahrungswelt des Materialismus.

Nicht lange danach entdecken jedoch selbst die fröhlichsten Verfechter des rein Stofflichen, den in ihr Paradies eingebauten Spuk - die Tatsache der Vergänglichkeit. Je mehr die Wesen besitzen, um so mehr müssen sie beim Tod zurücklassen. Noch dazu: Wenn die Dinge wirklich sind, werden es dadurch auch Alter, Krankheit und Tod. Eine bestätigende Sichtweise der Geschehnisse macht also zugleich das Leid wahr, was um so nachhaltiger stört.

Das äußere Anzeichen dieser Enttäuschung ist eine schadensbegrenzende Herangehensweise. Man versucht jetzt, so wenig wie möglich in die Anziehungen des Lebens verwickelt zu werden. Die Wortwahl wird langatmig, die Gestalten auf Gemälden erscheinen mehr eigen, oft dünn und elend, und die Farbwahl bewegt sich Richtung grün und blau. Bald jedoch vernichtet der gesunde Menschenverstand aber auch diesen Versuch, Sicherheit durch eine einseitige Sichtweise zu erlangen. Das Bestreben, alles grau und nichtig zu machen, hält keine Leiden fern. Man muss sie zusätzlich von einer Ebene der Freudlosigkeit angehen und hat deswegen viel weniger Möglichkeit, das Geschehen zu beherrschen.

Wie von freidenkenden Europäern zu erwarten, blieben auch weitere mögliche Beobachtungen zum Wesen der Dinge nicht unerforscht. So entstanden Erklärungen zur Welt wie die des Existenzialismus, der Transzendenz (Platon) und der Immanenz (Aristoteles). Was den wahrnehmenden Geist angeht, so wechselten, wenn Vorstellungen von Staat und Kirche es zuließen, die Vorstellungen genauso häufig.

Bis Buddhas letztendliche Lehren vor kurzem im freiheitlichen, jetzt auch ausgebildeten Westen bekannt wurden, wußte man hier reichlich wenig über den Erleber. Die Vielzahl der inneren Zustände erschien dadurch als höchst verwirrend. Heute muß das nicht sein: Die Fähigkeit, den Geist seinem Wesen nach als Raum-artig, seiner Natur nach strahlend bewußt und seinem Ausdruck nach als unbegrenzt zu verstehen, wächst nach der ersten bewußten Begegnung oft selbsttätig. Ohne einen solchen zeitlosen Schlüssel zu der alles umfassenden Furchtlosigkeit, der selbstentstandenen Freude und dem tatkräftigem Mitgefühl, die mit der steigenden Wahrnehmung des Geistes von sich selbst dauerhaft werden, wären jede Menge Ausflüge in den Bereich des Vergänglichen und der gemischten Gefühle unvermeidlich.

Vom Heldenhaften bis zum Gefühlsduseligen reichend, können gemischte Geistes-Zustände das Leben derer beherrschen, die sich keinen letztendlichen Hintergrund durch buddhistische Sichtweise und Meditation verschafft haben. Diese oft störenden Gefühle führen zu zahllosen Worten und Handlungen, die das Glück und die Wahlmöglichkeiten der Wesen in die Zukunft hinein begrenzen und sollten deswegen gründlich untersucht werden.

Was erzeugt die bedingten Freuden und Leiden der Welt? Eine grundlegende Unwissenheit des Geistes seinem eigenen Wesen gegenüber und die daraus entstehenden Zustände! Wer die Gefühlsbäder von Schuld und Vergebung der Glaubens-Religionen gewohnt ist, im Austausch mit persönlichen Göttern die ihre Schöpfungen irgendwie nicht in den Griff bekommen, mag diese Erklärung etwas dünn finden. Sie ist jedoch auf jeden Fall logisch und die unverbrauchte Inbrunst läßt sich vorzüglich in sinnvolleren Bereichen einsetzen.

Die Erkenntnis, dass Erscheinungen keiner äußeren, von ihnen getrennten Kraft zum Entstehen bedürfen, dass der Geist spielerisch seine grenzenlosen Möglichkeiten sowohl als Raum als auch durch die äußeren und inneren Welten entfaltet, macht es unerlässlich, für den ernsthaft Suchenden den Erleber und damit die Quelle aller Ereignisse kennenzulernen. Die Fähigkeit, sie in der Außenwelt wahrnehmen zu können, war immer eine Bedingung für das Überleben, und darauf sind die Sinne der Wesen eingestellt.

Was jedoch das Verstehen vom Erleber selbst betrifft, kann der unerleuchtete Geist mit einem Auge verglichen werden. Er wird sich aus eigener Kraft heraus selbst nicht erkennen können. Wie entstehen dann die unerleuchteten Erfahrungsströme der gewöhnlichen Leben? Durch die folgenden auch logisch verständlichen Schritte: Seit anfangsloser Zeit erzeugt die Unfähigkeit der Wesen, Erleber, Erlebtes und Tat als der gleichen Gesamtheit zugehörig zu erleben, die Haupt-Störgefühle. Bekannt als Anhaftung und Abneigung bleiben sie jedoch nicht lang allein. Ihre hübschen Nachkommen sind Gier und Habsucht, beziehungsweise Haß und Zorn, wohingegen die Unwissenheit zusätzlich den unguten, arm machenden Stolz entstehen läßt, wo man sich selbst für besser hält als andere. Es bedeutet in der Tat, dass man sich immer in schlechter Gesellschaft erlebt und dieses Gefühl raubt einem erfolgreich die Freude im Leben.

So wie Teilchen nur eine bestimmte Größe erreichen können, so fallen Gefühle anscheinend auch wieder auseinander, wenn sie zu vielschichtig werden. Buddha sagte, dass sie in 84000 möglichen Verbindungen auftreten können. Trotz ihrer Bedingtheit fähig, den unbedingten Geist zu bedecken, verhindern sie sowohl die selbstentstandene höchste Freude des Geistes als auch seine unmittelbar mit der Erfahrung entstehende Einsicht. Dadurch verhindern sie das volle Strahlen des Hier und Jetzt.

Wer die Reife besitzt, die an sich vergänglichen und veränderbaren Zustände so zu verstehen wie sie wirklich sind, kann gut lachen. Als gemischte Shows auf dem eigenen inneren Fernseh-Schirm erlebt oder als ein uns verlassender zoologischer Garten, hat man die fröhliche Wahl, sich entweder nicht um die Bilder zu kümmern oder die komischen Tiere unter der Lupe zu bestaunen. Mit der freien Wahl, störende Gefühle entweder zu vermeiden, ihre Erfahrung durch Einsicht und Mitgefühl abzuschwächen und umzuwandeln oder sogar durch die Beobachtung ihrer Possen den Geist zu erkennen, ist man reich beschenkt.

Eine solche Freiheit genießen jedoch nur Verwirklicher, die sich in diesem oder früheren Leben den Raum um die Geschehnisse im Geist bewußt gemacht haben. Andere werden gemischte Gefühle für wahr halten, obwohl sie sich ständig verändern. Von ihnen mitgerissen, erfolgen dann klotzige oder schädliche Worte und Taten, die wiederum schwierige Eindrücke in die äußere Welt und das eigene Speicherbewusstsein legen. Wenn solche unklaren Ursachen als äußere wie innere Schwierigkeiten heranreifen, vergessen die Wesen gewohnheitsmäßig, dass sie die Kakteen selbst gepflanzt haben, in denen sie sitzen. Sie denken, ihr Leid sei von anderen verursacht worden, handeln und reden wieder unklug und so rollt das Rad der bedingten und letztendlich unzufriedenstellenden Erfahrungen von Leben zu Leben weiter. Es muss jedoch nicht so sein!

Die Tatsache, dass die Gegenwart der Wesen von ihrer Vergangenheit bedingt ist, bedeutet, dass man die eigene Zukunft steuern kann. Es gibt viele Ebenen, auf denen das möglich ist und die feinsten liegen im eigenen Geist. Weit davon entfernt, etwas unabwendbar Schreckliches zu sein, werden Störgefühle bei mutiger Handhabung Rohstoff für Verwirklichung. Sie drücken die Richtung unserer Karmas aus, und unser Umgang mit ihnen entwickelt unsere Reife. Unsere aus Muße nach Innen schauenden und auf Freizeit eingestellten Gesellschaften beschäftigen sich gerne mit den Gefühlen, die meistens von den Lehrern nach der Sichtweise der alten buddhistischen Texte behandelt werden und wohl bekannt sind. Deswegen hier ein Blickwinkel der meines Wissens noch nicht so erklärt wurde. Er setzt den reifen Menschen voll auf den Fahrersitz seines Lebens. Wirksame Arbeit mit den Störgefühlen ist wie gekonnte Kriegsführung - oder Schach. Sie erfordert die Bereitschaft, den Gegner genau abzuschätzen und ehrlich die eigene Stärke zu erkennen. Dann muß man kurz wie langfristig sein Vorgehen und Ziel planen, um das meistmögliche an gegnerischen Kräften für die eigenen Ziele nützlich zu machen. Da ein gemeisterter Geist zeitloses Glück bedeutet, und Verwirrung sonst kein Ende hat, sollte man diesen "Krieg" gewinnen!

Den Gegner einzuschätzen heißt, sein Wesen zu erkennen. Flammen blitzschnelle und schwer zu beherrschende Gefühle gewohnheitsmäßig heiß auf? Rufen sie unbeherrschte, peinliche oder schädliche Verhaltensweisen sofort hervor oder ist der eigene Geist ein langsamer Brüter? Hält er an zornvollen Einstellungen fest und verstärkt sie allmählich, bis wirkliche Feindschaft entsteht?

Im ersteren Fall kann ein schnelles "Pä": - lautlos gehalten oder mit etwas Stimme gesprochen - viele oberflächliche Störgefühle auflösen. Hat man zu einem Lama echtes Vertrauen, kann man sich auch diesen über dem eigenen Kopf vorstellen, ihn bewußt in sich runter ziehen und einfach der Lama sein.

Häufen sich die Störgefühle langsamer, kann man sie sehr wirksam auf einem Ölfilm von Mantras dahingleiten lassen. Das hält die Trips "in der Schwebe", weg von Körper und Rede, und verhindert den Aufbau von leidbringenden Gewohnheiten. Da jede Störung aufgebaut und bedingt ist, muss sie von sich aus an Kraft verlieren und wegfallen. Wenn der Geist das erkennt, läßt er sich beim nächsten Mal weniger leicht von ihnen an der Nase herumführen. Die eigene Stärke kennen, erfordert zugleich eine reife Beobachtung nach innen: Wie geht es mir heute? Welche Ritzen in meiner Rüstung hat die Welt neulich aufgebrochen? Welche Gewissheiten aus früherem Wachstum und Erfolg kann ich für die Handhabung der jetzigen unangenehmen Zustände einsetzen?

Die Erwiderung beinhaltet einen oder mehrere der folgenden Schritte:

a) Die Auseinandersetzung vermeiden. Obwohl es sich selten heldenhaft anfühlt, Störungen aus dem Wege zu gehen: Es verhindert Dramen. Es verschafft einem wertvolle Zeit, einfach einen Spaziergang einzulegen, wenn sich ansonsten Bedingungen entwickeln würden, bei denen man erfahrungsgemäß auf die Nase fällt.

b) Der nächste Schritt ist ein zunehmendes Gewahrsein, dass Störgefühle umgewandelt werden können. Dass sie nicht so wahr sind, wie sie sich gerade für einen anfühlen. Man kann hier zum Beispiel zuerst einsehen, dass das gegebene Leid vorher nicht erfahren wurde und deswegen auch wieder vorbei gehen muß; dass die Lage sich jeden Augenblick ändert. Das wachsende Gewahrsein von der Unwirklichkeit und Unbeständigkeit aller schwierigen Umstände bietet ein weites Feld an Möglichkeiten sie umzuwandeln. Führende begriffliche Mittel sind dabei der Vergleich mit Anderen und das Entwickeln von Mitgefühl. Werden die eigenen Lebensbedingungen als schlimm wahrgenommen, verschwindet sofort jedes Selbstmitleid, wenn man zum Beispiel mitbekommt, was die Leute in Afrika sich überall antun. Auch wer sich in einer von Männern beherrschten lieblosen Gesellschaft entfremdet fühlt, muss durch Einsichten in das Elend moslemischer Frauen überpersönliche Einfühlung entwickeln und die Suche nach echten Lösungen für sie vorantreiben. In der Hitze des Augenblicks können Gedanken wie "Würde ich mit ihm tauschen wollen?" oder "Ein paar Minuten mit ihnen zusammen ist fürchterlich, und sie können sich Tag und Nacht nicht entkommen..." vielen Begegnungen ihren Stachel nehmen und sogar zutiefst unglücklichen Leuten mitfühlende Rückkopplungserfahrungen bieten. Buddhisten sind sich allgemein der Tatsache bewusst, dass die Wesen eher aus Unwissenheit als aus Bosheit schwierig sind. Da sie sich bestimmt nicht zum ersten Mal begegnen und die Täter sich selbst großen zukünftigen Schaden zufügen, während ihre Opfer frühere schlechte Karmas loswerden, tut man aus Mitgefühl für beide Seiten das Mögliche.

c) Das wirksamste Mittel in der Arbeit mit Störgefühlen bleibt aber die Freiheit zur Wahl der eigenen Sichtweise: Dass man bei keiner bedingten Erfahrung die letztendliche Weisheit vergisst. Nach dem Gewahrsein strebend, das zeitlos wie ein Spiegel hinter den Bildern verweilt, versteht der alles erzeugende und erlebende Geist, dass jedem die Buddha-Natur innewohnt und dass alle Ereignisse der Reichtum des Raumes sind. Ab dieser Einsicht kann man sich nur wie ein Buddha unter künftigen Gleichgesinnten verhalten und die Welt bleibt ein Reines Land. Weil man auf dieser Ebene alle Gedanken, welche auch immer, bloß wegen ihres Erscheinens als Überschuss und Weisheit des Geistes erfährt und sich die Möglichkeit gönnt, alle Geräusche als sinnvoll und Mantras zu hören, kommt der Dieb in ein völlig leeres Haus. Hier finden unerwünschte Gefühle weder Kraft noch Anerkennung. Wo ein bloßes Selbstbefreien des Geistes bei ihrer Auflösung empfunden wird und man fähig war, ihren Verlauf aus sicherem Abstand als freies Spiel wahrzunehmen bleibt nur ein Meer von Erfüllung. Innere Zustände die so lange scheinbar solch große Feinde waren, er-scheinen nun als Quellen der Kraft. Die Arbeit mit dem Kohlenstaub brachte schönste Diamanten hervor und die Störgefühle entpuppten sich als die fünf Buddhaweisheiten. (siehe "Wie die Dinge sind")

Schaffen wir das!

Euer Lama Ole


Autor:
Auf ihrer Hochzeitsreise 1969 nach Nepal begegneten Ole Nydahl und seine Frau Hannah dem 16. Karmapa, dem geistigen Oberhaupt der Karma-Kagyü-Linie des Tibetischen Buddhismus. Nach mehreren Lehrjahren im Himalaya wurden sie von ihm als seine ersten westlichen Schüler gebeten, die Lehre Buddhas in den Westen zu bringen.
Seit über 25 Jahren hat Lama Ole Nydahl weltweit den Diamantweg-Buddhismus bekannt gemacht und bis heute mehr als 200 Meditationszentren gegründet, die er regelmäßig besucht.