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Aus: Buddhismus Heute Nr. 30, ( 2000)

Die Zwischenzustände, Teil 2: Der Bardo des Sterbens

Von Lopön Tsechu Rinpoche

Wenn wir im Tibetischen Buddhismus von "Bardo" sprechen, so ist damit gewöhnlich die Phase zwischen einem Leben und dem nächsten gemeint - die Zeitspanne zwischen Tod und Wiedergeburt. Die eigentliche Bedeutung des Wortes ist jedoch "Zwischenzustand / was dazwischen liegt" und geht somit weit über die allgemeine Bedeutung hinaus, wie Lopön Tsechu Rinpoches Belehrungen zeigen.

Teil 2: Der Bardo des Sterbens

Der Bardo des Sterbens, der normalerweise als sehr schmerzvoll erlebt wird, fängt im dem Moment an, wo es sicher ist, daß wir sterben werden, und dauert bis zu dem Augenblick, wo das Klare Licht unseres Geistes erscheint. Das Erlebnis des Klaren Lichtes des Geistes selbst wird als der dritte Bardo erklärt; hier jetzt, beim zweiten Bardo, geht es nur um den eigentlichen Sterbeprozess.

Wesen mit höheren geistigen Fähigkeiten durchlaufen all die Bardos überhaupt nicht. Der Tod solcher realisierter Wesen, der großen Verwirklicher, wird in verschiedenen Weisen erklärt. Eine davon besagt, daß es so ist, als würde eine Vase zerbrechen und sich die Luft innen mit der Luft außen vermischen - es gibt keinerlei Unterschied mehr zwischen beiden. Eine andere vergleicht es damit, daß Feuerholz verbrennt und nichts mehr zurückbleibt. Beim Tod verwirklichter Wesen zeigt sich ihre Leerheits-Erkenntnis oft in verschiedenen Weisen als Wunder in der äußeren Welt. Manchmal erhellt sich beim Tod eines Weisheitshalters (tib. Rigdzin) der Himmel, oder eine Dakini löst sich manchmal in einem Regenbogen auf. Dies sind äußere Zeichen ihrer Verwirklichung.

Die Verwirklicher mit etwas Erkenntnis, die aber nicht voll erleuchtet sind, sind fähig, in sehr unbekümmerter Weise zu sterben. Es wird beschrieben wie bei einem kleinen Kind, oder einem Bettler oder einem Löwen in den Bergen. Für sie ist der Tod keine große Sache, sie haben nicht diese starke Anhaftung. Es ist gar nicht so, daß sie etwas loslassen müssten, denn diese Verwirklicher haben sich sowieso schon befreit von den sehr schweren Anhaftungen, die gewöhnliche Wesen haben. Oft sterben diese Verwirklicher gerne allein, und es ist dann niemand da, der ihren Tod überhaupt bemerkt. So haben sie nicht einen Haufen Leute um sich herum, die weinen und sie zurückhalten wollen und so weiter. Sie ziehen sich einfach zurück, verschwinden aus der Welt und sterben dann.

Gewöhnliche Wesen und Verwirklicher die noch nicht die Resultate der Praxis erlangt haben, erleben den gewöhnlichen Todes-Prozess. Dieser - wie sich die äußeren Elemente und die Sinne auflösen, und auch all die äußeren, inneren und geheimen Zeichen - wird hier erklärt werden.

Unser Leben in der physischen Existenz kommt zustande auf Grundlage der fünf Elemente1, und während unserer Lebenszeit sind es diese fünf Elemente, die unsere physische Form zusammenhalten. Zu der Zeit des Sterbens lösen sie sich wieder auf, und es zeigen sich sogenannte "äußere, innere und geheime" Zeichen.

Das äußere Zeichen, wenn sich das Erd-Element in das Wasser-Element auflöst ist, daß unser Körper seine Kraft verliert und wir ihn nicht mehr aufrecht halten können. Wir können unseren Kopf und Körper nicht mehr heben und können nichts mehr in unseren Händen halten, so schwach sind wir. Der Körper beginnt, sich aufzulösen. Wir geraten in Panik, denn obwohl wir ganz normal liegen, haben wir die ganze Zeit das Gefühl zu fallen und wir wollen, daß uns die Leute um uns herum halten und uns helfen.

Wir erfahren das innere Zeichen in der Weise, daß unser Geist unklar wird, wir uns nicht mehr konzentrieren können und verwirrt werden. Das geheime Zeichen ist, daß man eine Art von Flimmern erlebt. Dies kann auch im Zusammenhang mit einer bestimmten Art von Meditation auftreten, hier aber geschieht es automatisch.

Danach löst sich das Wasser-Element in das Feuer-Element auf. Das äußere Zeichen dafür ist, daß der Körper trocken wird. Mund und Zunge trocknen mehr und mehr aus, ganz gleich wieviel man trinkt. Man kann auch die Bewegung der Zunge nicht mehr kontrollieren. Das innere Zeichen ist, daß man sehr irritiert ist und leicht zornig wird; man fühlt sich sehr unwohl. Das geheime Zeichen ist, daß man rauchartige Erscheinungen erlebt.

Danach löst sich das Feuer-Element in das Wind-Element auf, und das äußere Zeichen dafür ist, daß die Körperwärme nachläßt. Der Atem verliert seine Wärme, ist eher so wie kühle Luft. Langsam verläßt einen die Körperwärme, von den Füßen ausgehend durch den ganzen Körper, bis er ganz kühl geworden ist. Das innere Zeichen ist, daß der Geist noch verwirrter wird; manchmal ist er noch klar, aber man kann sich nicht mehr wirklich auf etwas konzentrieren. Auch die ganze Wahrnehmung der äußeren Welt ist nicht mehr klar. Man ist sich nicht mehr sicher, ob man etwas sieht oder nicht. Flimmernde rote Lichter - ähnlich wie Glühwürmchen - erscheinen als das geheime Zeichen.

Danach - wenn der Atem aufhört - löst sich das Wind-Element in das Bewußtsein auf. Zuerst atmen wir ganz schnell, dann atmen wir für lange Zeit aus und haben große Schwierigkeiten wieder einzuatmen. Schließlich atmen wir zum letzten Mal aus und das Wind-Element löst sich in den Raum auf. Da sich zu dieser Zeit die ganze physische Basis unserer Existenz aufgelöst hat, haben sich auch die Sinne, die wir aufgrund dieser Basis erfahren, aufgelöst. Das heißt, wir können nichts mehr sehen, hören, schmecken, riechen und fühlen. Dies ist der schlimmste Moment, und wenn wir nicht sehr gutes Karma haben, geraten wir wirklich in Panik. Man kann zu dieser Zeit die erschreckendsten Visionen haben.

Der Moment, wenn sich Bewußtsein und Körper voneinander lösen, ist der wirklich kritische Augenblick. Man kann hier nur dann Kontrolle bewahren, wenn man in diesem Leben wirklich sehr gut praktiziert hat. Wenn man eine sehr stabile Praxis und einiges Verständnis entwickelt hat, schafft man es zu dieser Zeit, den Geist unter Kontrolle zu halten. Anderenfalls ist es ein sehr schmerzvoller Moment, in dem die meisten Leute sehr leiden. Wenn man sehr viel gutes Karma angesammelt hat, bekommt man Hilfe zu dieser Zeit. So kann man zum Beispiel Visionen von Dharma-Schützern und Dakinis haben, die kommen, um einem durch diese kritische Zeit zu helfen.

Wenn die äußere Atmung aufgehört hat, geht aber immer noch eine innere Atmung weiter, man ist noch nicht völlig tot. Aus diesem Grunde geschieht es manchmal, daß Leute nach dem Aufhören der äußeren Atmung wieder zum Leben kommen. Da das Aufhören der äußeren Atmung nicht der letztendliche Tod ist, ist es sehr gut, wenn ein Dharma-Freund oder zumindest jemand, der ein wenig vom Dharma weiß, bei dem Leichnam sein kann. Zumindest wäre es gut, wenn der Leichnam noch einige Zeit liegengelassen wird. Bei den Hindus wird der Körper in dem Moment weggetragen, wo der Atem stoppt, fast schon vorher. Er wird sofort aus dem Haus getragen und dem Feuer übergeben. Es wäre aber sehr gut, wenn man ihn für einen Tag oder drei Tage oder vielleich auch länger liegenlassen könnte, aber das hängt natürlich auch vom Klima ab. Wenn es sehr heiß ist, bewahrt man ihn nicht lange auf. Der Todesprozeß sollte wirklich abgeschlossen sein, bevor der Körper verbrannt wird. Das zu wissen ist sehr gut für uns, denn wir können dann bei uns und unseren Freunden dafür Sorge tragen, wenn es soweit ist.

Mit dem nun folgenden Aufhören der inneren Atmung werden speziellere Zeichen erlebt, die man "Erscheinen", "Zunehmen" und "Erlangen" nennt und die einiger Erklärung bedürfen: Was hier geschieht, ist, daß man die sogenannten inneren Erfahrungen von "Weiß" und "Rot" macht. Die Reihenfolge in der das geschieht, wird verschieden erklärt und der Autor dieses Textes stützt sich auf die Erklärungen des Kalachakra-Tantras: In unserem Körper haben wir einen zentralen Energie-Kanal, an dessen oberen Ende sich die Essenz befindet, die wir von unserem Vater bei der Empfängnis bekommen haben, das Weiße Element. Am unteren Ende des Zentral-Kanals befindet sich die Essenz der Mutter, das Rote Element.

Das Weiße Element hat zuerst die Form eines weißen tibetischen Buchstabens Hang. Wenn es sich auflöst und beginnt, sich nach unten zu bewegen, lösen sich in uns 33 Geisteszustände auf, die mit Aggression und Abneigung zu tun haben und wir haben die Erfahrung, daß alles weiß wird. Danach bewegt sich das Rote Element der Mutter, das die form des tibetischen Ahs hat, von seiner Stelle unterhalb des Nabels und steigt nach oben. Dabei haben wir die Erfahrung, daß alles rot wird und 40 Geisteszustände die mit Anhaftung und Begierde zu tun haben, lösen sich auf.

Wenn die Weiße Essenz des Vaters und die Rote Essenz der Mutter sich auf der Höhe des Herzens in unserem Körper treffen, lösen sich 7 Geisteszustände auf, die mit Unwissenheit zu tun haben und alles wird schwarz. Hier kann uns unsere Praxis sehr helfen. Wenn wir von unserem Lehrer direkte Unterweisungen bekommen haben und den Dharma gut kennen, haben wir in diesem Moment die Möglichkeit, das Klare Licht unseres Geistes zu erkennen. Die wahre Natur des Geistes erscheint in diesem Moment bei allen Wesen, ob sie es verstehen oder nicht. Wenn wir uns schon darauf vorbereitet haben, haben wir die Chance, das Klare Licht des Geistes in diesem Augenblick zu erkennen. Sonst werden wir es gar nicht wahrnehmen und einfach nur ohnmächtig werden.

Beim Beginn des Todesprozesses machen wir die Erfahrung davon, wie sich die Elemente ineinander auflösen, was als sehr überwältigend erlebt wird. Wenn sich zum Beispiel das Erd-Element in das Wasser-Element auflöst, hat man oft das Gefühl, daß man von riesigen Bergen erdrückt wird und man hört unerträglich laute Geräusche. Wenn sich Wasser in Feuer auflöst, haben wir oft den Eindruck, von einer Flut davongeschwemmt zu werden, wie wenn ein Ozean auf uns zukommt, während wir das Tosen des Wassers hören. Wenn sich Feuer in Wind auflöst, hören und fühlen wir das wie das Feuer am Ende dieses Zeitalters. Wenn sich Wind in Bewußtsein auflöst, fühlt sich das so erschreckend an wie das Geräusch von Tausenden von Donnerschlägen zugleich.

Was uns zu dieser Zeit rettet, ist, sich für den eigenen Buddha-Aspekt oder den Lehrer zu öffnen. Hier bekommen wir den Schutz, der uns durch diese schwierige Phase bringt und verhindert, daß wir von all diesen Eindrücken davongerissen werden. Sonst ist es nur eine Frage davon, wie gut oder schlecht unser Karma ist. Normalerweise kann man auf die Ereignisse keinen Einfluß nehmen, es geschieht einfach. Wenn unser Körper tot ist wandert unser Geist mit einer Art Geist-Körper weiter. Die Eindrücke werden dann sehr stark sein. Welcher Ort uns auch immer in den Sinn kommt, wir werden sofort da sein, werden alles sehen, ohne daß wir von anderen Leuten gesehen werden. Es ist sehr verwirrend. Aber wir haben in diesem Moment die Chance, das anzuwenden, was wir in diesem Leben gelernt haben.

Aus diesem Grunde sollten wir uns der Vergänglichkeit erinnern, sollten wissen, daß all dies jedem von uns geschehen wird. Es ist wichtig, die Zeit jetzt zu nutzen und sich darauf vorzubereiten, so daß man dann damit umgehen kann. Dann haben wir zum Zeitpunkt des Todes nichts zu bedauern, denn wenn es erstmal so weit ist, ist es zu spät. Es bedeutet auch, daß wir die Essenz all der Lehren Buddhas verstehen und in unser Leben integrieren müssen. Wir müssen wirklich in Übereinstimmung mit dem Dharma leben und ihn nicht nur als eine Theorie neben unserem Leben halten.

Wir sollten den Dharma so viel praktizieren wie wir können und versuchen, nicht unsere ganze Energie in weltlichen Aktivitäten zu verbrauchen. Das würde keine bedeutenden Resultate bringen. Wir müssen hier die Balance finden, denn wir haben zwar einen Haufen Sachen zu tun, sollten aber nicht mehr tun als nötig ist. Wenn man erstmal was erledigt hat, gibt es normalerweise sofort wieder etwas Neues zu tun und so weiter. Wir geben uns die ganze Zeit selbst Jobs in unserem Leben und sollten uns daran erinnern, was wichtig ist und was nicht. Dann stecken wir unsere Energie in die wichtigen Sachen und haften an den anderen nicht an. Die eigentliche Bedeutung davon ist, die Anhaftung an dieses Leben aufzugeben.

Die letzten Momente in unserem Leben sind sehr kraftvoll. Was wir bei unserem letzten Ausatmen im Geist haben, ist ein sehr starker Eindruck und wird sofortige Resultate bringen. Wenn wir schon viel gutes Karma angesammelt und nichts zu bedauern haben, wird alles sehr leicht gehen und kein großes Problem sein. Wenn wir aber aus Unwissenheit negativ gehandelt haben und diese Handlungen immer noch mit uns tragen, ist nun der Moment gekommen, sie ernsthaft zu bereuen, denn dann können wir sie loswerden. Dies hat eine große Bedeutung in Hinsicht darauf, wie wir den weiteren Bardo erleben werden. Es heißt, daß es in diesem Moment möglich ist, viele Dinge zu verändern, wirklich zu reinigen und viel Karma zu ändern. Auch wenn man starke Wunschgebete macht, wird das sofortige Resultate bringen. Es hat starke Kraft und wird später in Erfüllung gehen.

Es wurde zuvor schon einmal erwähnt, daß es sehr hilfreich ist, wenn man jemand hat, der einen durch diese Prozesse führt. Wenn das der eigene Lehrer ist, wäre das am Allerbesten. Aber wenn das nicht möglich ist, ist es auch sehr gut, wenn ein Dharmafreund, mit dem wir eine reine Verbindung haben, da ist und uns daran erinnern kann, was zu tun ist. Er kann uns sagen: "Du stirbst jetzt und solltest dich an die Lehren, deinen Yidam, Lehrer usw. erinnern." Diese Art von Hilfe in diesem Augenblick zu bekommen, ist äußerst hilfreich. Auf der anderen Seite kann es sehr schädlich sein, wenn Leute um einen sind, ob Verwandte oder liebe Freunde, die nur da sind und weinen und schreien und uns sagen, wir sollen nicht fortgehen.

Der Prozeß des Sterbens wie er hier beschrieben wurde, läuft in dieser Weise ab, wenn es keine Störungen gibt. Aber es ist nicht immer so. Wenn man zum Beispiel bei einem Unfall stirbt, geht man nicht durch all die einzelnen Phasen, sondern stirbt sofort. Es gibt auch andere Umstände, unter denen man nicht durch all die beschriebenen Zustände geht, oder daß einige von ihnen zugleich geschehen.

Wie wir von den den "Vier Gedanken, die den Geist auf den Dharma lenken" wissen, ist es gut uns ständig dessen bewußt zu sein, daß wir als menschliche Wesen die Chance haben, Dharma zu praktizieren und daß zur Zeit des Todes der Dharma das einzige ist, das uns helfen kann. Anderenfalls sind wir einfach nur die Beute unseres Karmas. Die Konsequenz daraus ist, dass wir so gut wir können praktizieren und uns so sehr wie wir können bemühen, uns zu verbessern, dass wir also eine gute Motivation entwickeln, den Erleuchtungsgeist.

Wenn wir merken, daß unser Tod bevorsteht, sollten wir noch fleißiger praktizieren und das Mahamudra oder Maha Ati - je nachdem was wir praktizieren - zu verstehen versuchen, worum es dabei eigentlich geht. Um ein echter Verwirklicher mit Erkenntnis zu sein, müssen wir verstehen lernen, daß alles rein ist und von der Natur des Wahrheitszustandes. Es gibt nichts, was von dieser Wahrheit getrennt wäre: Die letztendliche Essenz, die wahre Natur, ist in allem. Das müssen wir wirklich zu verstehen versuchen.

Zur Zeit des Sterbens selbst ist es am Besten, wenn wir uns in Meditationshaltung aufsetzen können, was aber oft physisch nicht mehr möglich ist. Dann sollten wir uns in die sogenannte Löwenposition legen, die Stellung, in der der Buddha bei seinem Tod dargestellt wird: Man liegt dabei auf der rechten Seite, mit dem linken Arm auf dem Körper. Die Finger der rechten Hand berühren verschiedene Punkte und Öffnungen am Kopf2. Es hilft, wenn man sich vorstellt, daß man mit dem Kopf oder dem Gesicht in Richtung Westen zum "Buddha des Grenzenlosen Licht" hin liegt. Man muß nicht wirklich so liegen, sondern stellt es sich vor. Diese Haltung, auf der rechten Seite zu liegen mit der rechten Hand in dieser speziellen Position, kann man jetzt schon trainieren. Denn wer weiß, ob man das zur Todesstunde kann, wenn man es vorher nicht getan hat. Aber davon abgesehen hat diese Position auch viele weitere Vorteile, wenn man sie beim Einschlafen einnimmt. Natürlich dreht man sich im Schlaf um, aber das spielt keine Rolle. Es ist sehr nützlich, die Gewohnheit zu entwickeln, in dieser Stellung auf der rechten Seite einzuschlafen. Sich in diesen Weisen auf den Moment des Todes vorzubereiten, ist etwas, das man wie alles andere lernen kann. Man muß es zuerst erklärt bekommen und darin eingeführt werden und kann es dann lernen und tun.

Es gibt auch verschiedene Arten von Phowa für den Moment des Sterbens, die für verschiedene Ebenen von Menschen gegeben wurden. Wesen mit höchsten Fähigkeiten brauchen überhaupt kein Phowa, weil sie schon erleuchtet sind. Wenn sie sterben, zeigen sich oft äußere Zeichen ihrer Erkenntnis. In Indien war dies zum Beispiel bei Nagarjuna der Fall, in Tibet bei Marpa dem Übersetzer. Marpa sagte zur Zeit seines Todes: "Wenn Ihr das Phowa machen wollt, tut es so wie ich." Von seinem Scheitel strahlte fünffarbiges Licht aus und erfüllte den ganzen Himmel. Dann löste sich seine Frau Dagmema in Licht auf und strahlte in ihn hinein. Das war eine Demonstration dessen, wozu sein Geist fähig war. Es war kein "gewöhnliches" Phowa.

Ein anderer großer Meister namens Melong Dorje zeigte ähnliche Zeichen bei seinem Tod - er strahlte starkes weißes Licht vom Scheitel seines Kopfes und erfüllte den ganzen Raum damit. Dies waren ganz besondere Fälle, zu denen man nicht so viel Erklärungen geben kann. Verwirklichte Wesen zeigen einfach verschiedene Zeichen bei ihrem Tod; manche verschwinden in einem Regenbogen, andere lassen ihren Körper zurück und er verwandelt sich in Reliquien - es gibt verschiedene Möglichkeiten. Wesen mit mittleren Fähigkeiten können die Anweisungen für das Phowa bekommen, es zu üben, die Zeichen bekommen und es im Moment des Sterbens anwenden. Für Wesen mit wenig Fähigkeiten ist das Phowa sehr wichtig, denn es bietet die Chance, zur Zeit des Todes eine Hilfe in die richtige Richtung zu bekommen. Ob das funktioniert oder nicht, ist sehr davon abhängig, ob die Person reine Verbindungen hat, ob sie die Verbindung zu ihrem Lehrer gehalten hat oder nicht. Wenn jemand zum Beispiel viel negatives Karma hat, so kann das Phowa trotzdem funktionieren, wenn er das Band zu seinem Lehrer gehalten hat und im Moment des Todes ernsthaft seinen Lehrer und seinen Yidam anruft. Wenn jemand aber das Band zu seinem Lehrer gebrochen und keine reinen Verbindungen hat, ist es sehr schwierig erfolgreich Phowa zu machen, obwohl er vielleicht gar nicht so viel negatives Karma hat.

Wenn der Lehrer bei dem Leichnam ist, wird er das Phowa in der Zeit zwischen dem Aufhören des äußeren und dem Aufhören des inneren Atems machen, also gleich nachdem man zum letzten Mal ausgeatmet hat. Das Phowa vorher zu machen, wäre zu früh. Man könnte damit das Leben des Sterbenden vorzeitig beenden, ihn praktisch töten. Einige Lehrer können das Bewußtsein auch noch später überführen, in der Zeit der 49 Tage im Bardo, insbesondere zu der Zeit, wenn der Körper verbrannt wird. Wenn jemand ein praktizierender Buddhist mit Vertrauen war, kann man ihm oder ihr in den 49 Tagen nach dem Tod helfen, indem man Wünsche und Zeremonien macht oder machen läßt. Dabei wird der Geist des gerade Verstorbenen angerufen und geleitet. In den 49 Tagen nach dem Tod gibt es viel Verwirrung und es ist für einen Buddhisten sehr gut, eine solche Hilfe zu bekommen. Es muß aber innerhalb dieser 49 Tage sein, danach ist es sinnlos.

Wenn man das Phowa selbst praktiziert, dann gibt es die Zeit, in der man es trainiert und die Zeit, wo man es anwendet, eben den Todesmoment. Es gibt verschiedene Arten von Phowa, und hier werden fünf Kategorien erklärt:

  • Dharmakaya-Phowa
  • Sambhogakaya-Phowa
  • Nirmanakaya-Phowa
  • Phowa des Segens
  • Kachö-Phowa

Das Dharmakaya-Phowa wird in verschiedenen Traditionen unterschiedlich erklärt, je nachdem ob in der Maha-Ati- oder der Mahamudra- oder anderen Schulen. Allen gleichermaßen zueigen ist aber, daß es um die Verwirklichung des Dharmakaya - der letztendlichen Natur - im Augenblick des Todes geht. Man wird in diesem Moment in die absolute, wahre Natur des Geistes eingeführt und erkennt sie.

Das Sambhogakaya-Phowa hängt eng zusammen mit dem Dharmakaya-Phowa. Die beiden werden als zusammengehörig betrachtet, denn wenn wir in diesem Leben die Entwicklungs- und die Vollendungs-Phase der Diamantweg-Meditation so gut praktizieren, daß wir sie meistern, dann bedeutet das, daß wir beim Tod das Dharmakaya- und das Sambhogakaya-Phowa verwirklichen. Die Vollendungs-Phase hängt mit dem Dharmakaya zusammen und die Entwicklungs-Phase mit dem Sambhogakaya. Sie werden jedoch zusammen betrachtet, sie können nicht getrennt werden.

Zur Zeit des Todes kann man die in der Praxis gewonnene Erfahrung anwenden und dadurch wird das Phowa stattfinden. Solche Ebenen von Erkenntnis in diesem Leben zu erreichen, ist aber nicht so leicht. Für gewöhnliche Leute ist es nicht immer möglich, vor dem Tod solche Resultate zu erlangen.

Das Nirmanakaya-Phowa wird hier das "Phowa, das man übt" genannt. Das bedeutet, daß man die Methode lernt und sie praktizieren muß. Man erhält die Anweisungen von einem Lehrer, der den Segen des Phowa tragen kann, der selbst die Erfahrung davon hat und sie weitergeben kann. Dann übt man die Praxis, nachdem man Zuflucht genommen und den Erleuchtungsgeist entwickelt hat. Zuerst lernt man, wie man sich richtig in Meditation setzt: Den Rücken gerade, die Beine über Kreuz usw., die sieben Punkte, die man von den Erklärungen zur Meditation der Geistesruhe her kennt. Danach meditiert man dann entsprechend den Anweisungen.

Es gibt verschiedene Phowa-Meditationen. Aber welche auch immer man lernt: man macht die Vergegenwärtigung, meditiert auf sich selbst als eine bestimmte Licht- und Energieform und auf den zentralen Energiekanal im Körper. Man stellt sich vor, daß über dem Kopf ein Buddha-Aspekt ist. Ganz gleich, welche Methode man lernt, man folgt auf jeden Fall genau den Anweisungen und lernt, wie man seinen Geist hochschickt, bis man die Zeichen bekommt.

Die genauen Erklärungen bekommt man zu der Zeit, wenn man es erlernt. Allgemein geht es darum, daß man lernt, sich auf den zentralen Energiekanal im Körper zu konzentrieren. Dieser hat eine bestimmte Größe, etwa wie ein kleiner Finger, aber manchmal auch anders. Er ist völlig gerade und geht vom Geheimen Zentrum unter dem Nabel nach oben. Man lernt, sich auf die Essenz des Geistes in Form einer Keimsilbe zu konzentrieren, und während man je nach Tradition verschiedene Laute äußert, schickt man ihn hoch zu dem Buddha über einem - dem "Buddha des Grenzenlosen Lichtes" oder je nachdem.

Diese Praxis macht man sehr sorgfältig so wie man unterwiesen wird. Die einzelnen Sitzungen beendet man mit einer Praxis auf den "Buddha des langen Lebens".

Welchen Buddha auch immer man je nach Tradition über sich meditiert, man kann sich auch vorstellen, daß der eigene Wurzel-Lama über dem eigenen Kopf sitzt. Die Essenz ist die gleiche und man sollte den Lama als den Buddha selbst ansehen und sehen, daß die Essenz des Lama nicht verschieden ist von dem Buddha oder dem Yidam. Das Phowa auf den eigenen Lama zu praktizieren, wird hier als eine eigene Art des Phowa erklärt, das "Phowa des Segens".

Das fünfte Phowa schließlich ist das Kachö-Phowa. "Khachö" ist der Name eines Reinen Landes. Dieses Phowa hat damit zu tun, daß man die Praktiken des Traum-Yoga und des Klaren-Licht-Yoga geübt hat. Man hat gelernt, die illusorische Natur des Traums voll zu verstehen und man ist geübt darin, im Zustand des Tiefschlafes bewußt zu bleiben. Als Resultat davon kann man diese Art von Phowa anwenden.

Welche Sorte von Phowa man auch immer lernt, man muß es gut üben und es im Moment des Todes konzentriert, einsgerichtet und ohne Ablenkung, anwenden. Es ist wichtig, daß man zu dieser Zeit nicht irgendwelchen Störgefühlen folgt, sondern sich voll auf die Praxis und den Lama konzentriert, und mit einsgerichtetem Geist das Bewußtsein hochschickt - so wie ein starker Mann einen Pfeil von einem Bogen schießt. Das sollte man konzentriert, ohne von anderen Dingen abgelenkt zu sein, und voller Vertrauen tun. Dann werden wir ganz sicher Befreiung erlangen.

Das höchste Resultat des Phowa ist, wie es bei der ersten Sorte erklärt wurde, volle Erleuchtung. Das mittlere ist die Wiedergeburt im Reinen Land Dewachen, das geringste die erneute Geburt mit einem Kostbaren Menschenkörper.

Sehr wichtig bei der Phowa-Praxis ist das Vertrauen in den Lehrer. Manchmal praktizieren Leute immer wieder und wieder das Phowa ohne die Zeichen zu bekommen. Das kann geschehen, obwohl der Lehrer qualifiziert ist und den Segen und die Anweisungen hat. Wenn man kein Vertrauen hat oder eine falsche Sicht, bekommt man keine Resultate.

1 Erde, Wasser, Feuer, Luft und Raum -  Festigkeit, Feuchtigkeit, Wärme, Beweglichkeit und Raum. 


(Ins Englische von Hannah Nydahl, ins Deutsche von Detlev Göbel)